Ketuvim (Schriften) des Tanach |
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Sifrei Emet (poetische Bücher) |
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חמש מגילות – Megillot (Festrollen) |
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Übrige |
Das 1. Buch der Chronik ist ein Buch der Bibel. Im Tanach bildet es zusammen mit dem 2. Buch der Chronik ein einziges Chronikbuch. Bei der antiken Übersetzung ins Griechische, der Septuaginta, wurde das Werk in zwei Bücher geteilt. Diese Zweiteilung wurde später von der Vulgata übernommen. Dort wurde das erste Buch der Chronik im Mittelalter, wohl erstmals von Stephen Langton, in 29 Kapitel unterteilt. Mit der Kapitelzählung hat im 16. Jahrhundert schließlich auch die Zweiteilung – in 1 Chr und 2 Chr – Eingang in die hebräischen Bibeldrucke gefunden.
Der Buchtitel des Gesamtwerks lautet hebräisch דִּבְרֵי הַיָּמִים divrê hajjāmîm („Ereignisse der Tage“, im Sinne von „Annalen“[1]). Er ist zum Beispiel in der Mischna (mJoma 6,1ff.) bezeugt. Die meisten hebräischen Bibelausgaben stellen das Chronikbuch ans Ende des dritten Kanonteils Ketuvim und damit ans Ende der gesamten jüdischen Bibel. Davon abweichend, steht das Chronikbuch im Codex Petropolitanus B19a und im Codex von Aleppo am Anfang der Ketuvim und vor dem Buch der Psalmen.[2]
In den Septuagintahandschriften und daher auch in den Ostkirchen heißen die beiden Chronikbücher altgriechisch παραλειπόμενα paraleipómena „ausgelassene Dinge“ (vgl. Paralipomenon), entweder, weil sie viele in den Samuel- und Königsbüchern fehlende Details (Sondergut) enthalten, oder weil sie erst spät in den jüdischen Kanon aufgenommen wurden.[3] Die Septuaginta ordnete die Chronikbücher im zweiten Hauptteil, den Geschichtsbüchern, ein; dem folgte die Vulgata und die meisten christlichen Bibelübersetzungen in moderne Sprachen.[2] Die Formulierung „Buch der Chronik“ geht auf Hieronymus zurück, der das Werk als „Chronik der gesamten göttlichen Geschichte“ (lateinisch: Chronicon totius divinae historiae) bezeichnete.[1] In der Vulgata lautet der Titel des Werks Paralipomenon; Martin Luther griff die Anregung des Hieronymus auf und prägte die Titel „Das erste Buch der Chronica“, bzw. „Das ander Buch der Chronica“, die leicht variiert als 1./2. Buch der Chronik von der Lutherbibel in weitere moderne Übersetzungen übernommen wurden.[4]
Die traditionelle Ansicht war, dass Esra das Buch der Chronik verfasst habe. Auch die ältere historisch-kritische Bibelwissenschaft vertrat zwar nicht Esras Verfasserschaft, aber eine Zusammengehörigkeit des Chronikbuchs mit dem Buch Esra-Nehemia („Chronistisches Geschichtswerk“, erstmals 1832 von Leopold Zunz vermutet und danach Konsens[5]). Gegen diese Hypothese erheben sich aber in der neueren Forschung Bedenken; weitgehend wird heute vermutet, dass die Chronik und Esra/Nehemia unabhängig voneinander von verschiedenen Verfassern geschrieben wurden.[6]
Die Chronik scheint das Werk eines Autors zu sein, der aber sein Quellenmaterial relativ wenig bearbeitete, dadurch wirkt das Werk uneinheitlich. Sara Japhet schlägt eine Datierung ins späte 4. Jahrhundert v. Chr. vor, also in die Zeit des zweiten Tempels.[7] Der Verfasser wird in priesterlichen Kreisen in Jerusalem vermutet.[8] Für den anonymen Autor ist die Bezeichnung „Chronist“ üblich.
Für den Eröffnungsteil prägte Johann Wilhelm Rothstein die Bezeichnung „genealogische Vorhalle.“[9] Üblicherweise wird die Zäsur zwischen Kapitel 9 und 10 angenommen; nach den genealogischen Listen beginne mit Kapitel 10 (dem Ende Sauls) die Erzählung. Mit Witte und Steins lässt sich aber auch eine Zäsur nach Kapitel 10 begründen. Die Davidsgeschichte erscheint dann mehr als in sich geschlossene Einheit.[10]
Das Listenmaterial steckt einen genealogischen und geografischen Rahmen ab. „Zielstrebig bewegt sich der Stammbaum der einen Menschheit auf das eine Israel zu.“[11] Das geschieht in mehreren Schritten: In 1 Chr 1,1 bis 2,2 spannt der Chronist den Bogen vom Urmenschen Adam bis zu den zwölf Söhnen Israels. Unter den von diesen zwölf Brüdern abgeleiteten Stämmen steht Juda als Stamm König Davids voran. Die Familien des Stammes Juda werden in den Kapiteln 2 bis 4 gelistet, im Zentrum steht der Stammbaum der Davidsfamilie, die bis in nachexilische Zeit weitergeführt wird. 1 Chr 3,17–24 enthält innerhalb der Hebräischen Bibel die ausführlichsten Angaben zur Davidsfamilie nach dem Exil.[12] Auf Juda folgen die Stämme Simeon, Ruben, Gad und Ost-Manasse. Dann wird mit Levi wieder ein Stamm beschrieben, an dem dem Verfasser besonders viel liegt (1 Chr 5,27–6,66). Denn auf Levi wird das gesamte Kultpersonal des Jerusalemer Tempels zurückgeführt. Unter den Nachkommen Levis sind die Aaroniden privilegiert; ihnen ist der Vollzug des Opferkults vorbehalten. Die übrigen Leviten sind Tempelmusiker, Türhüter, Assistenten beim Opferkult, aber auch Tempelschreiber.[13] In Kapitel 7 folgen die Stämme Issachar, Benjamin, Naftali, Manasse, Efraim und Ascher. Die Kapitel 8 und 9 befassen sich mit den Benjaminiten und hier besonders mit der Familie Sauls. Darin eingeschoben ist in 1 Chr 9,1–34 eine Liste der Einwohner Jerusalems zur Zeit Davids.[14] Erwähnt wird unter der Einwohnerschaft besonders das Tempelpersonal (Priester, Leviten, Torhüter). Damit ist deutlich, dass Jerusalem das Zentrum des chronistischen Weltbilds bildet, und innerhalb Jerusalems der Tempel.[15]
Wichtige Themenkomplexe der biblischen Geschichtsbücher werden im Geschichtsrückblick der Chronik übergangen. Der Auszug aus Ägypten wird an späterer Stelle beiläufig erwähnt 1 Chr 17,5 EU. Der Chronist betont eine „ungestörte Kontinuität“ in der Beziehung des Volkes Israel zu seinem Land.[16] Dem Pentateuch zufolge verbringt Ephraim sein ganzes Leben in Ägypten und gelangt nie ins Land Israel; 1 Chr 7,20–24 EU zufolge wohnt er mit seiner Familie in der Gegend von Gat.[17] „Der Chronist geht ganz schlicht davon aus, daß die Israeliten sich in dem Lande vermehrten, wo sie von Jakobs Zeiten an saßen.“[18]
Der zweite Hauptteil ist eine Neuinterpretation (Rewritten Bible) der Regierungszeit Davids. Dabei lag das Samuelbuch als Quelle zugrunde. Für den Chronisten ist David zwar nicht Erbauer des Tempels, aber doch der Organisator des Tempelkults und der Planer für dessen Bau, so dass Salomo (im 2. Buch der Chronik) dann die Vorbereitungen seines Vaters in die Tat umsetzt. Die Schritte auf dem Weg zum Tempelbau sind folgende:[19]
Die Rezeption der Chronik im Judentum ist relativ gering: „Das Buch sollte dem Hohenpriester im Tempel in der Nacht von Jom Kippur vorgelesen werden, damit er nicht einschläft (mYom 1,6). Und dies ist denn auch fast die einzige Funktion, die diesem Buch im Judentum gegeben wurde.“[20]
Die liturgischen Texte 1 Chr 16,8–36 EU und 1 Chr 29,10–13 EU wurden ins tägliche Morgengebet (Psuke desimra) aufgenommen. Der Vers 1 Chr 29,11 EU wird nach dem Ausheben der Torarolle im Synagogengottesdienst gesungen.[20]
Der Standardkommentar der Glossa ordinaria gab der Kommentierung der Chronik relativ breiten Raum und griff dabei auf den Kommentar des Hrabanus Maurus und den eines Anonymus (Pseudo-Hieronymus, Quaestiones Hebraicae in Paralipomenon) zurück, möglicherweise das Werk eines jüdischen Konvertiten. Petrus Comestor wertete die Chronik für sein Standardwerk zur Geschichte der Bibel (Historia scholastica) aus.[21]
Aufgrund von 1 Chr 16,37–43 EU galt David im Mittelalter als Begründer der gottesdienstlichen Musik.[22] Die Beschreibung im 1. Buch der Chronik von der Überführung der Bundeslade nach Jerusalem und Davids Gründung von Tempelsängergruppen wurde seit der Spätantike von den Kommentatoren auf die Kirchenmusik hin ausgelegt (zum Beispiel: Vorrede zum Psalmenkommentar des Beda Venerabilis; De institutione clericorum von Hrabanus Maurus). Dies setzt sich im Blick auf die protestantische Kirchenmusik fort, zum Beispiel in der Vorrede des Gesangbuchs von Johann Hermann Schein (1627). Michael Praetorius verwies im Syntagma musicum auf die Musikinstrumente, die David für den Tempel anfertigen ließ, um Instrumentalmusik im christlichen Gottesdienst biblisch zu begründen.[23]