Kreditrationierung

Als Kreditrationierung wird im Bankwesen allgemein eine Rationierung von Krediten, speziell eine das selektive Kreditgeschäft behandelnde Banktheorie verstanden.

Allgemeines

Auf dem Gütermarkt kann es in Krisen zur Rationierung kommen, wenn das Güterangebot mittelfristig niedriger ist als die Güternachfrage und somit eine Angebotslücke oder ein Nachfrageüberhang vorliegt. Da nicht alle knappen Güter sofort neu produziert werden können und deshalb auch durch Lieferengpässe im Handel Regallücken entstehen, funktioniert der Preismechanismus nicht mehr; es liegt eine Marktstörung vor, die der Staat durch Markteingriff mittels Rationierung zu beheben versucht.

Anders als auf dem Gütermarkt steht im Bankwesen auf dem Kreditmarkt jederzeit ein angemessenes Kreditangebot durch aktive Kreditschöpfung der Geschäftsbanken und der Zentralbank zur Verfügung. Das Kreditangebot kann nahezu unbegrenzt und sofort erhöht werden (siehe Geldschöpfungsmultiplikator). Die Kreditrationierung ist deshalb weder eine Angebotslücke noch ein Nachfrageüberhang, sondern auf künstliche Knappheit zurückzuführen. Kreditrationierung ist eine Situation, in der bei gegebenem Kreditzins eine Knappheit des Kreditangebots besteht, ohne dass es – bei einem höheren Kreditzins – zu einer Erhöhung des Kreditangebots kommen würde. Die Ressourcenallokation von Krediten wird durch eine Mengenrationierung herbeigeführt.

Kreditmarkt

Die Mengenrationierung (Kreditrationierung im engeren Sinne) stellt ein spezifisches Merkmal des Kreditmarktes dar. Sie wird erforderlich, weil ein Nachfrageüberhang der Kreditnachfrage nicht mit einer Erhöhung des Kreditzinses beantwortet werden kann. Dieser Marktmechanismus würde jene Kreditnachfrager aus dem Markt treiben, bei denen ein niedriges Ausfall- oder Insolvenzrisiko vorhanden ist, während diejenigen Kreditnachfrager mit schlechter Bonität auch hohe Kreditzinsen zu zahlen bereit sind. Deshalb reagieren Kreditinstitute auf einen Nachfrageüberhang nicht mit höheren Kreditzinsen. Der Zins kann hierbei nicht die Preisfunktion der Selektion ausüben, bei der allgemein bei hohen Preisen nur Güternachfrager mit hohem Einkommen auftreten und Wirtschaftssubjekte mit niedrigem Einkommen nicht als Nachfrager in Betracht kommen werden.

Kreditklemme

→ Hauptartikel: Kreditklemme

Eine Kreditklemme liegt vor, wenn weder der Kreditzins zu hoch noch die Bonität der Kreditnehmer zu schwach ist und diese beiden Faktoren nicht zur Verminderung des Kreditangebots führen. Obwohl es das Kreditangebot durch Refinanzierung der Kreditinstitute zuließe, halten sich die Institute bei der Kreditgewährung zurück, weil sie entweder eine Erhöhung des Kreditzinses abwarten oder ihre Bonitätsanforderungen erhöhen.

Kreditrationierung

Modelle

Die Kreditrationierung gehört zu den Banktheorien, die hierzu verschiedene Modelle entwickelt haben. Im Modell aus 1976 wird angenommen, dass zunächst die Zahlungsströme aus einem Standardkreditvertrag (Kreditzins und Tilgung: Schuldendienst) sicher sind. Die Kreditnehmer bestehen aus ehrlichen und unehrlichen Kreditnehmern und fragen Konsumkredite nach. Unehrliche verweigern die Rückzahlung des Kredits, wenn die von ihnen abhängigen Insolvenzkosten niedriger als der gesamte Schuldendienst sind. Der Kreditgeber kann zwischen beiden Typen nicht unterscheiden. Der Kreditgeber wird das Ausfallrisiko der Kreditnehmer durch eine Risikoprämie innerhalb der Kreditzinsen berücksichtigen.

Joseph E. Stiglitz befasste sich 1981 mit der Kreditrationierung als Ablehnung von Kreditanträgen, unter denen sich auch potenzielle Kreditnehmer mit guter Kreditwürdigkeit befinden. Es ist das Grundmodell der Kreditrationierung, das auf Moral Hazard und Adverse Selection (Informationsasymmetrie) beruht. Der Kreditzins erfüllt hier eine Anreiz- und Selektionsfunktion, wobei Kreditgeber und Kreditnehmer sich risikoneutral verhalten. Beide betreiben Gewinnmaximierung (Kreditgeber durch den Kreditzins, Kreditnehmer durch das mit dem Kredit finanzierte Investitionsprojekt).

Eine Erhöhung der Kreditzinsen hat sowohl Einfluss auf die Kreditnachfrage als auch auf die Qualität und Verhaltensweisen der Kreditnachfrager. Es werden Kreditnehmer mit unterschiedlicher Bonität angenommen, was sich in einem unterschiedlichen Kreditrisiko und Rating ausdrückt. Um die unterschiedlichen Kreditrisiken zu unterscheiden, wird der Risikoparameter Theta ( θ {\displaystyle \theta } ) eingeführt. Ein hoher Wert des Risikoparameters Theta bedeutet ein hohes Risiko. Dies drückt sich in der Wahrscheinlichkeit für niedrige Projekterträge aus, die bei hohem Theta hoch ist. Bei jedem vorgegebenen Kreditzins, den die Bank verlangt, gibt es einen kritischen Wert des Risikoparameters Theta, ab welchem die Kreditnehmer nur noch Projekte finanzieren, die den optimalen Risikowert, d. h. Theta*, übersteigen. Es gibt folglich einen optimalen Kreditzins. Kreditnehmer finanzieren nur Projekte mit Risikoparametern, welche das kritische Theta übersteigen. Steigt der Kreditzins, so steigt dadurch auch der optimale Risikowert (das kritische Theta). Der erwartete Ertrag der Bank aus dem Kreditgeschäft ist umso geringer, je riskanter die finanzierten Projekte sind. Risikoerhöhung bedeutet für den Kreditgeber einen geringeren erwarteten Rückzahlungsbetrag pro Kreditnehmer.

Jaffee/Stiglitz begrenzten 1990 die „reine“ Kreditrationierung (englisch pure credit rationing) auf den Fall, dass von Kreditnachfragern, die alle zu denselben Kreditkonditionen zur Kreditaufnahme bereit sind, vom Kreditgeber selektiv einige Kreditnachfrager bedient werden und andere nicht. Ausgeschlossen sind mithin die Fälle der Preisrationierung und der Rationierung aufgrund unterschiedlicher Einschätzungen (englisch divergent views rationing). Preisrationierung würde bedeuten, dass bei hohem Kreditzins einige Kreditnachfrager (wegen sich erhöhendem Zinsaufwand) nicht mehr bereit und in der Lage sind, den Kredit aufzunehmen. Unterschiedliche Einschätzungen liegen vor, wenn einige Kreditnachfrager keinen Kredit zu dem Kreditzins erhalten, den sie für sich und ihre eigene Risikoeinschätzung für angemessen halten. Bei der Preisrationierung wird auch untersucht, wie asymmetrische Informationen zwischen Kreditnachfragern und Kreditgebern auf die Anpassung von Kredit- und Habenzinsen auf eine Veränderung des Geldmarktzinses wirkt.

Arten

Unterschieden wird zwischen mehreren Arten:

Modell von Stiglitz/Weiss

Grundmodell

Annahmen

Als Variablen stehen zur Verfügung:

Strukturannahmen

Gewinnfunktion des Kreditnehmers

Der Gewinn des Kreditnehmers ist das Maximum aus Projektertrag abzüglich der vereinbarten Rückzahlung und dem Negativbetrag der Sicherheit:

max ( y − R , − C ) {\displaystyle \max(y-R,-C)} .

Der Kreditnehmer macht Verlust in Höhe der Sicherheit, solange der Projektertrag kleiner ist als der verzinste Kreditbetrag abzüglich der Sicherheit. Übersteigt der Projektertrag diesen Wert, so kommt der Kreditnehmer auch in die Gewinnzone, die abhängig vom Projektertrag unbegrenzt ist.

Ertragsfunktion des Kreditgebers

Der Ertrag des Kreditgebers ist das Minimum aus der vereinbarten Rückzahlung und der Summe aus Projektertrag und Sicherheit:

min ( R , y + C ) {\displaystyle \min(R,y+C)} .

Die Ertragsfunktion des Kreditgebers beginnt mit einem Betrag in Höhe der Kreditsicherheit bei einem Projektertrag in Höhe von Null. Sie steigt dann mit dem Projektertrag an, bis der vereinbarte Rückzahlungsbetrag erreicht ist. Darüber bleibt der Rückzahlungsbetrag konstant.

Mechanismus

Eine Erhöhung der Preise hat sowohl Einfluss auf die Nachfrage als auch auf die Qualität und Verhaltensweisen der Nachfrager.

Risikoparameter

Es werden Kreditnehmer mit unterschiedlicher Qualität angenommen. Dies drückt sich in einem unterschiedlichen Projektrisiko aus, welches sich anhand der Verteilung der Projekterträge ablesen lässt. Um die unterschiedlichen Projektrisiken zu unterscheiden, wird der Risikoparameter Theta eingeführt. Ein hoher Wert des Risikoparameters Theta bedeutet ein hohes Risiko. Dies drückt sich in der Wahrscheinlichkeit für niedrige Projekterträge aus, die bei hohem Theta hoch ist.

Kritischer Zins

Bei jedem vorgegebenen Kreditzins, den die Bank verlangt, gibt es einen kritischen Wert des Risikoparameters Theta, ab welchem die Kreditnehmer nur noch Projekte finanzieren, die den optimalen Risikowert, d. h. Theta *, übersteigen. Es gibt folglich einen optimalen Zins.

Kreditnehmer finanzieren nur Projekte mit Risikoparameter, welche das kritische Theta übersteigen. Steigt der Kreditzins, so steigt dadurch auch der optimale Risikowert (das kritische Theta).

Ertrag

Der erwartete Ertrag der Bank aus dem Kreditgeschäft ist umso geringer, je riskanter die finanzierten Projekte sind. Risikoerhöhung bedeutet für den Kreditgeber einen geringeren erwarteten Rückzahlungsbetrag pro Kreditnehmer.

Ergebnisse

Ab einem optimalen Kreditzins führt eine weitere Erhöhung zu Ertragsverlusten (Effekt 2 dominiert). Von da an lohnt es sich nicht mehr für die Bank, Kreditzinsen zu erhöhen. Sie schränkt das Kreditangebot ein (Kreditrationierung).

Funktionen der Kreditrationierung

Auf unvollkommenen Märkten kann Kreditrationierung sinnvoll sein. Mögliche Gründe sind

Wirtschaftliche Aspekte

Auf den Geld- und Kapitalmärkten ist zu beobachten, dass im Falle restriktiverer Maßnahmen der Geldpolitik durch Zentralbanken (etwa Leitzinserhöhung, Mindestreserveerhöhung) über einer Verminderung der Kreditwürdigkeit von Kreditnehmern (beispielsweise durch Wertminderungen bei beliehenen Wertpapieren und Immobilien) die Kreditrisiken im Kreditportfolio der Banken steigen. Adverse Selektion und Moral Hazard – bedingt durch Informationsasymmetrien zwischen Kreditnehmern und Kreditgebern – könnten Banken dann veranlassen, anstelle von Zinserhöhungen eine Kreditrationierung oder Kreditklemme mit kontraktiven Folgen für die gesamtwirtschaftliche Nachfrage vorzunehmen.

Einzelnachweise

  1. Nordin Oulad-Youssef, Kreditrationierung in Entwicklungsländern, 1999, S. 15
  2. Hellmuth Milde, Informationskosten, Anpassungskosten und die Theorie des Kreditmarktes, in: Kredit und Kapital 7, 1974, S. 489 f.
  3. Hellmuth Milde, Informationskosten, Anpassungskosten und die Theorie des Kreditmarktes, in: Kredit und Kapital 7, 1974, S. 266 f.
  4. Sigrid Bekmeier-Feuerhahn, Die Dynamik tiefgreifenden Wandels in Gesellschaft, Wirtschaft und Unternehmen, 2011, S. 93
  5. Dwight M. Jaffee/Thomas Russell, Imperfect Information, Uncertainty, and Credit Rationing, in: The Quarterly Journal of Economics 90 (4), 1976, S. 651–666
  6. Dwight M. Jaffee/Thomas Russell, Imperfect Information, Uncertainty, and Credit Rationing, in: The Quarterly Journal of Economics 90 (4), 1976, S. 651 f.
  7. Joseph E. Stiglitz/Andrew Weiss, Credit Rationing in Markets with Imperfect Information, in: The American Economic Review, 1981, S. 393 ff.
  8. Joseph E. Stiglitz/Andrew Weiss, Credit Rationing in Markets with Imperfect Information, in: The American Economic Review, 1981, S. 393–395
  9. Dwight Jaffee/Joseph E Stiglitz, Credit Rationing, in: Benjamin M Friedman/Frank H Hahn (Hrsg.), Handbook of Monetary Economics II, 1990, S. 837–888
  10. Vera Schubert, Asymmetrische Information und Finanzierungsstruktur, 1999, S. 72 FN 9
  11. Vera Schubert, Asymmetrische Information und Finanzierungsstruktur, 1999, S. 39
  12. Doris Neuberger, Mikroökonomik der Bank, 1998, S. 104; ISBN 978-3-8006-2289-4
  13. Claus Greiber, Der Kreditkanal - Ansätze zur Lösung des empirischen Identifikationsproblems, 2006, S. 20; ISBN 978-3-8300-0819-4
  14. Doris Neuberger, Mikroökonomik der Bank, 1998, S. 104
  15. Doris Neuberger, Mikroökonomik der Bank, 1998, S. 104
  16. Dwight Jaffee/Joseph E Stiglitz, Credit Rationing, in: Benjamin M Friedman/Frank H Hahn (Hrsg.), Handbook of Monetary Economics II, 1990, S. 849
  17. Otmar Issing, Geschichte der Nationalökonomie, 2001, S. 224; ISBN 978-3-8006-4357-8