Neoevolutionismus

Als Neoevolutionismus wird eine sozialwissenschaftliche Strömung bezeichnet, die die Entwicklung von Gesellschaften in Anlehnung an die biologische Evolutionstheorie zu erklären versucht, sich jedoch von Grundannahmen des klassischen sozialwissenschaftlichen Evolutionismus absetzt. Neoevolutionismus befasst sich mit langfristigem, gerichtetem sozialem Wandel und mit wiederkehrenden Mustern der Entwicklung, die in verschiedenen Kulturen zu beobachten sind.

Entwicklung

Ursprünge im klassischen Evolutionismus

→ Hauptartikel: Evolutionismus

Der sozialwissenschaftliche Evolutionismus des 19. Jahrhunderts war Teil einer damals weit verbreiteten Denkweise europäischer bzw. westlicher Intellektueller, die seit dem 18. Jahrhundert an der Erforschung langfristiger Wandlungen von Natur und Menschen interessiert waren. Eine wissenssoziologische Deutung sieht dieses verbreitete Interesse als Ausdruck des Konkurrenzkampfes zwischen Adel und Bürgertum, in dem das Bürgertum, weil es seine eigene soziale Position verbessern wollte, die Wandelbarkeit sozialer (und auch natürlicher) Verhältnisse in den Blick nahm.

In der Biologie entsprang daraus die biologische Evolutions­theorie von Charles Darwin, die mit Ergänzungen in Form der Synthetischen Evolutionstheorie bis heute ein zentraler Baustein im Theoriegebäude der Biologie ist. In den Sozialwissenschaften versuchten die klassischen Evolutionisten, mit allgemeinen evolutionären Prinzipien die Entwicklung von Gesellschaften zu beschreiben und zu erklären. Sie nahmen eine linienförmige („lineare“) Form der langfristigen Entwicklung an, in der alle Gesellschaften die gleichen Entwicklungsstufen durchlaufen würden. Häufig wurde dabei die eigene westliche Zivilisation als die höchstentwickelte Stufe betrachtet. Teilweise wurden (z. B. von Karl Marx) auch fortschrittsgläubige Prognosen für die weitere Entwicklung gemacht.

Diese Theorien wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom historischen Partikularismus als unwissenschaftlich zurückgewiesen, der darauf bestand, dass jede Kultur ihre eigene Geschichte und Entwicklung habe. Evolutionäres Denken, ob von politisch rechter oder linker Seite, geriet in den Sozialwissenschaften für Jahrzehnte generell in Misskredit. Auch aufgrund dieser Kritik formulierten verschiedene Sozialwissenschaftler die Theorien über den langfristigen sozialen Wandel neu, so dass sie zeitgenössischen wissenschaftlichen Ansprüchen genügten.

Unterschiede zum klassischen Evolutionismus

Stark vereinfachte schematische Darstellung der drei wesentlichen soziokulturellen Evolutionsmodelle

Die Anfänge des Neoevolutionismus gehen in die 1930er Jahre zurück, nach dem Zweiten Weltkrieg wurden neoevolutionistische Theorien erheblich weiterentwickelt, bis sie in den 1960er Jahren Eingang in die Ethnologie, Anthropologie und Soziologie fanden. Der Neoevolutionismus weist mit seinen Entwicklungsmodellen viele Ideen des klassischen Evolutionismus zurück. Dabei tendieren neoevolutionistische Theorien zu einem Grundstock gemeinsamer Annahmen, die aber nicht von allen im gleichen Maß geteilt werden:

Vertreter

Literatur

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Ina Wunn: Die Evolution der Religionen. 2004, S. 7, 9–11, 299–304, (308 ff.), (387 ff.), 420, (424 ff.), 438–439, urn:nbn:de:gbv:089-4735352978 (Habilitationsschrift, Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften der Universität Hannover).