Heutzutage ist Selbstpsychologie ein hochaktuelles Thema, das uns alle betrifft, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Da sich die Welt auf eine immer unsicherere Zukunft zubewegt, wird Selbstpsychologie zu einem grundlegenden Bestandteil unseres Lebens und beeinflusst die Art und Weise, wie wir mit unserer Umwelt, mit anderen Menschen und sogar mit uns selbst interagieren. Deshalb ist es notwendig, sich mit dem Wissen und Verständnis von Selbstpsychologie zu befassen, um den Herausforderungen zu begegnen, die sich in dieser sich verändernden Welt ergeben. In diesem Artikel tauchen wir in die faszinierende Welt von Selbstpsychologie ein und erforschen seine Auswirkungen, Anwendungen und Konsequenzen in unserem Leben.
Die Selbstpsychologie ist eine moderne psychoanalytische Theorie und ihre klinischen Anwendungen, in den 1960er, 70er und 80er Jahren von Heinz Kohut in Chicago konzipiert und entwickelt, die sich stetig weiterentwickelt (Otto Kernberg) als eine zeitgenössische Form der psychoanalytischen Behandlung. Sie integriert die Abhängigkeit von wichtigen Objekten der Umwelt, also den bedeutendsten Personen des Individuums für die Organisation und Aufrechterhaltung des Selbst (Strukturniveau). Die psychoanalytische Selbstpsychologie ist eine Psychoanalyse, die sowohl Freud und die Erweiterung und Ausdifferenzierung (Heinz Hartmann) als auch insbesondere den wissenschaftlichen und therapeutischen Fortschritt seit Freud berücksichtigt und in Theorie und Praxis integriert hat. Anders als die mechanistisch-individualistische Triebtheorie der „klassischen Psychoanalyse“, die Patienten unbemerkt zu Objekten macht und sie nur scheinbar „objektiv“ beobachtet, sieht und analysiert die Selbstpsychologie den Menschen vom ersten Lebenstag an als ausgerichtet, beeinflußt und geprägt durch Beziehungen. Selbstpsychologische Analytiker sehen sich als in die Beziehung mit ihrem Klienten verwoben an und nicht als außenstehende und objektivierende Beobachter, was eine andere Art der Traumdeutung impliziert.[1]
Das Selbst wurde zuerst von dem psychoanalytischen Ich-Psychologen Heinz Hartmann eingeführt. Es ergänzt das Strukturmodell der Psyche von Sigmund Freud. Dieser stellte das Modell der Psyche bestehend aus Es, Ich und Über-Ich auf.
In der Objektbeziehungstheorie und der Selbstpsychologie wird das Selbst in Beziehung zu einem Objekt verstanden, also das Selbst in Relation zu einer anderen Person.
Daniel N. Stern, ein bekannter Selbstpsychologe und Säuglingsforscher, schreibt hierzu: „Auch wenn niemand recht weiß, was das Selbst eigentlich ist, haben wir doch als Erwachsene ein sehr reales Selbstempfinden.“[2] Er beschreibt, dass das Selbst: als einzelner, abgegrenzter, integrierter Körper wahrgenommen wird; als Handlungsinstanz (in der wir selbst handeln); unsere Gefühle empfindet; unsere Absichten erfasst; unsere Pläne schmiedet; unsere Erfahrungen in Sprache umsetzt und unser persönliches Wissen mitteilt.
Dass das Ich realitätsgerecht zwischen den Ansprüchen des Es, des Über-Ich und der sozialen Umwelt zu vermitteln hat, besagt, dass es orientiert ist an seinen eigenen psychischen Fähigkeiten und Möglichkeiten und an den möglichen und realen Gegebenheiten der Naturwelt und der Kulturwelt. Den Wissenserwerb über die eigenen psychischen Fähigkeiten, Möglichkeiten und Realitäten und die Möglichkeiten von Natur- und Kulturwelt nennt man Selbsterkenntnis: Erkenne dich selbst! (Wahlspruch in der Griechischen Philosophie) Selbsterkenntnis ist also Voraussetzung nahezu jeder glückenden Selbstverwirklichung. – „Glück“ soll hier jetzt nur ganz allgemein bedeuten, dass ein Mensch am Ende seines Lebens von sich sagen kann, sein Leben sei ihm geglückt: sinnstiftend, produktiv, erfahrungsreich gewesen.
Das Ich benötigt also für seine Vermittlungs-Funktion realitätsgerechte Vorstellungen über sich selbst, die »Selbst« bzw. »Selbstrepräsentanzen« heißen. Aus den Selbstrepräsentanzen bezieht ein Mensch seine Selbstdefinition, seine psycho-soziale Identität.
Das Selbst ist im Gegensatz zum Ich eine übergreifende Instanz in der Persönlichkeit (wird aber auch teilweise als ein Teil des Ichs beschrieben), die alle Instanzen wie Über-Ich und Es sowie auch alle Objekte, also die Vorstellung von den nahestehenden Personen einschließt. Seine Funktionen sind die Selbstwahrnehmung, Selbststeuerung, Kommunikation und Bindung. Das Selbst wird nur erfahrbar, indem es ein Gefühl des Wohlbefindens und des Selbstwertgefühls vermittelt.
Auf den ersten Blick scheint es, dass zwischen dem Ich und dem Selbst kaum Unterschiede bestehen. Der Schein trügt aber, denn das Selbst, als die strukturierten Bilder über sich selbst, ist natürlich nicht reflexions- und kritikfähig. Nur das Ich mit seinen Funktionen des Wahrnehmens, Denkens und des Gedächtnisses vermag zu reflektieren und selbstkritisch zu sein. Die Ausbildung eines kritischen Selbst ist eine der Hauptfunktionen des Ich.
Ein Selbst kann man dann kritisch nennen bzw. die Selbstrepräsentanzen sind dann vom Ich kritisch erfasst und ausgebildet worden, wenn sie die Grenzen des Selbst (der Person) zureichend realistisch erfassen und dem Bewusstsein widerspiegeln können. Dass man sich realistisch wahrnimmt, setzt Selbsterkenntnis voraus.
Selbsterkenntnis im tiefenpsychologischen Sinne ist die oft demütigende und schmerzhafte Erkenntnis der realen Grenzen des Selbst. Schmerzhaft ist diese Erkenntnis, weil wir uns alle gerne ungefährdeter, bedeutender, sicherer etc. sehen, als wir in Wahrheit sind. Diesen Sachverhalt bezeichnet man als Narzissmus. Erwachsene sollten ein realistisches Bild von sich haben – am besten eines, das ihrer Realität am nächsten kommt. Und sie sollten sich lieben und annehmen lernen so wie sie sind – und nicht, wie ein unrealistisches Über-Ich - Ich-Ideal sie gerne hätte. Und sie sollten sich nicht kleiner sehen, als es ihren Möglichkeiten entspricht, sonst können sie nicht der werden, der sie sein könnten und sein sollten.
„Werde, der du bist“ (= von deinen Fähigkeiten und Möglichkeiten her, von deinen Wesens-Anlagen her und Wesens-Möglichkeiten her) ist zunächst scheinbar ein Anspruch, der nur von der erzieherischen Umwelt her einer Person angetragen und durch Belohnungs- und Bestrafungsmechanismen ins Über-Ich hinein sozialisiert wird. Aber es ist auch ein mehr oder weniger unbewusster Anspruch aus dem Es: Der psychosomatische Bewegungsdrang, der Neugierdrang (Wahrnehmungsinteresse) und Bestätigungs-Drang (Primär-Narzissmus) führen unbewusst – also wie automatisch – dazu, sich zu erproben, zu behaupten und Probleme lösen zu wollen. Das Ich muss jedoch die Handlungsimpulse und Handlungsansprüche aus dem Es, dem Über-Ich und aus der sozialen Umwelt kritisch und vor allem selbstkritisch prüfen und dann handlungsleitend einsetzen, sodass man sagen kann: „Werde, der du bist“ ist ein Anspruch des ichfunktional gebildeten Gewissens.
Die Herausbildung des Selbst ist ein Vorgang der Kompromissbildung, insofern das Ich bei der Selbstverwirklichung zwischen den Ansprüchen des Es, des Über-Ich und des Sozialaußen (Feedback) vermittelt. Das optimale Ziel der Kompromissbildung ist die Findung eines stabilen, d. h. konfliktfähigen Selbst: eines Selbst, das menschliches Handeln in einem konflikthaften Leben lebensentfaltend (konfliktauflösend und konfliktminimierend) zu organisieren vermag. Diese Kompromissbildung des Selbst ist mitunter ein schwer zu lösendes Lebensproblem. Die Frage ‚Wer bin ich‘ stellt sich oft manifest als Sinnkrise.
Gemäß der Theorie von Heinz Kohut würden Behandler mit einem selbstpsychologischen Fokus darauf achten, wann oder wie Patienten bestimmte Formen narzisstischer Übertragung entwickeln. „Vielfältige psychopathologische Störungen, nicht nur die Narzisstische Persönlichkeitsstörung, sondern auch Depressionen, Essstörungen, Hypochondrie oder Ängste, sind demnach auf ein geschwächtes Selbst rückführbar. Sämtliche Pathologien werden als Ausdruck von Entwicklungsarretierungen konzeptualisiert und nicht von Konflikten. Abwehrmechanismen dienen grundsätzlich dem Selbstschutz“. Dieser Selbstschutz könne sich in drei verschiedenen Übertragungsformen zeigen:[3]
Alle drei Übertragungsformen haben gemeinsam, dass positive Gefühle aufgebaut werden (sollen) und/oder, dass unbewusst Ängste vor Untergang und Fragmentierung abgewehrt werden.[4] „Nach Kohuts Auffassung ist eine Psychologie des Selbst entbehrlich oder sogar unbrauchbar bei psychologischen Zuständen, in denen das Selbst entweder nicht oder nur in rudimentärer oder Restform existiert, wie dieses etwa in allerfrühester Kindheit und bei gewissen Zuständen schwerer Desorganisation und Regression, z. B. in der Psychose, der Fall ist. Relativ unwichtig ist eine Psychologie des Selbst Selbstkohäsion fest und die Selbstannahme optimal etabliert sei Unverzichtbar sei sie allerdings immer dann, wenn jene Zustände untersucht werden würden, in denen Erfahrungen der gestörten Selbst-Annahme und/oder der Fragmentierung des Selbst den Mittelpunkt des psychischen Zustandes bildeten, wie dieses bei den Narzisstischen Persönlichkeitsstörungen par excellence der Fall sei“.[4]
Die Selbstpsychologie wurde kritisiert, weil sie die Konfliktanalyse in den Hintergrund stellt. Otto Kernberg kritisierte sie, da sie auf das Heilungskonzept der empathischen Begleitung setzt. Klinische Phänomene erscheinen durch sie in neuem Licht, wie sogenannte narzisstische Störungsbilder, einige depressive Störungen, einige Angststörungen, sowie Essstörungen. Für diese Syndrome wurden neue Behandlungswege aufgezeigt. Die Selbstpsychologie wurde mehrfach als unanalytisch betrachtet, da Kohut die Nützlichkeit der Widerstandsanalyse bezweifelte.
Im Einzelnen kritisiert Kernberg mehrere Aspekte des selbstpsychologischen Behandlungsansatzes.
Andere Autoren heben hervor, dass die Selbstpsychologie in drei Punkten kritikwürdig ist:[8]