Klaus von Beyme

Klaus von Beyme (* 3. Juli 1934 in Saarau, Landkreis Schweidnitz, Niederschlesien; † 6. Dezember 2021 in Heidelberg) war ein deutscher Politikwissenschaftler und von 1974 bis zu seiner Emeritierung 1999 Professor am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg. Er forschte, lehrte und veröffentlichte zu politischen Theorien, Ideologien, Parteien und Systemen, insbesondere in vergleichender Perspektive. Seine Lehrbücher zum Politischen System der Bundesrepublik Deutschland und den Politischen Theorien der Gegenwart sind maßgebliche Standardwerke. Viele seiner Publikationen wurden mehrmals neu aufgelegt und in verschiedene Sprachen übersetzt.

Leben

Klaus von Beymes Eltern, der Landwirt Wilhelm von Beyme (1901–1968) und Dorothee von Beyme, geborene von Rümker (1906–1997), waren Gutsbesitzer in Schlesien, später Hoteliers. Nach dem Abitur 1954 in Celle machte von Beyme 1954 bis 1956 in Braunschweig eine Ausbildung zum Verlagsbuchhändler. Ab 1956 studierte er zunächst Rechtswissenschaft, Soziologie und Geschichtswissenschaft; nach vier Semestern wechselte er von der Rechts- zur Politikwissenschaft. Er studierte bis 1961 an den Universitäten Heidelberg, Bonn, München, Paris und Moskau. Der außergewöhnliche Studienplatz Moskau (1959–1960) ergab sich aus der Lebensgeschichte Beymes, der in der Volkshochschule Russisch gelernt und sich erfolgreich für den Studentenaustausch beworben hatte. Von 1961 bis 1962 war Beyme Research Fellow am Russian Research Center der Harvard University und Assistent bei Carl Joachim Friedrich. 1963 wurde er in Heidelberg zum Dr. phil. promoviert. 1967 habilitierte er sich in Heidelberg und begann seine Lehrtätigkeit.

Beyme war 1967 bis 1973 ordentlicher Professor an der Universität Tübingen. Im Juli 1971 amtierte er dort für eine Woche kurzzeitig als Rektor der Universität, bevor er selbst wieder davon zurücktrat. Im Jahre 1972 erhielt er einen Ruf an die Universität Frankfurt am Main. Von 1973 bis 1975 war er Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft.

Beyme war von 1974 bis 1999 ordentlicher Professor für Politikwissenschaft an der Universität Heidelberg und leitete das Institut für Politische Wissenschaft. Von 1982 bis 1985 war er Präsident der International Political Science Association, 1983 bis 1990 Mitglied des Research Council am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz, 1985 Gastprofessor an der École libre des sciences politiques in Paris, 1979 Gastprofessor an der Stanford University (Kalifornien), 1989 Gastprofessor an der Universität Melbourne. 1990 bis 1993 war er Mitglied des Vorstandes der Kommission für die Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Bundesländern; 1999 wurde Beyme emeritiert.

Beyme war ab 1959 verheiratet mit Maja von Beyme, geborene von Oertzen (* 28. Oktober 1935 in Rostock), Tochter des Oberregierungsrats und Rechtsanwalts Detlof von Oertzen und dessen Frau Viktoria von Oertzen, geborene von Blücher. Ab seinem 24. Lebensjahr war Beyme Mitglied der SPD. Er hatte zwei Kinder (Maximilian und Katharina) und starb im Dezember 2021 im Alter von 87 Jahren.

Wirken

Von Beymes Einführung in die politischen Theorien der Gegenwart erschien ab 1972, sein Lehrbuch über das politische System der Bundesrepublik Deutschland ab 1979 in zahlreichen Auflagen. Beide wurden in verschiedene Sprachen übersetzt und prägten Generationen von Studenten der Politikwissenschaft. 1982 wurde er Vorsitzender der Internationalen Gesellschaft für Politische Wissenschaften und Vorsitzender ders Weltpolitologen-Verbandes. Beyme erhielt zahlreiche Anerkennungen für seine wissenschaftliche Tätigkeit, u. a. 1995 die Ehrenmitgliedschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, 1998 die Universitätsmedaille der Universität Heidelberg und 2001 die Ehrendoktorwürde der Universität Bern. Außerdem war er Mitglied der Academia Europaea und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. 2008 wurde er mit dem Schader-Preis geehrt.

Eine 1998 veröffentlichte Studie besagte, dass Beyme auf Rang zehn der weltweit wichtigsten Politikwissenschaftler stand – und zwar als einziger Deutscher. Beymes außergewöhnliche Bedeutung für das Fach zeigte sich auch auf deutscher Ebene. 41 Prozent der befragten Wissenschaftler benannten ihn als wichtigsten Vertreter der Politikwissenschaft in Deutschland. Auf Platz zwei lag er bei der Frage nach den wichtigsten Fachvertretern hinsichtlich ihrer „professionspolitischen Bedeutung“. Die meisten der Befragten glaubten, dass er die beste Reputation aller Politikwissenschaftler in der Öffentlichkeit genieße. Zweimal war Beyme auch unter den wichtigsten Vertretern einzelner Forschungsfelder zu finden: beim Themengebiet „Politische Theorie, Politische Philosophie und Ideengeschichte“ und beim Fachgebiet „Vergleichende Politikwissenschaft / Systemvergleich“. Beyme betreute etwa 100 Promotionen und 16 Habilitationen.

Beyme wurde am 2. September 2010 sowohl für seinen „gewaltigen Beitrag zur Entwicklung der Politikwissenschaft in Europa und der ganzen Welt“ als auch für seine langjährige Tätigkeit als Professor für Politikwissenschaft an den verschiedensten Universitäten weltweit mit der Ehrenprofessur der Lomonossow-Universität Moskau geehrt. Insbesondere habe er sich um die Entwicklung der Beziehungen zwischen der Lomonossow-Universität und den Universitäten in Deutschland verdient gemacht, so die Laudatoren. Die Verleihung der Auszeichnung fand im Rahmen eines Festaktes statt, zu dem der Rektor der Moskauer Universität geladen hatte, im Beisein des Bürgermeisters von Moskau, Juri Michailowitsch Luschkow.

Auf seiner Sitzung in Tokio am 14./15. April 2012 beschloss das Executive Committee der International Political Science Association (IPSA), deren Präsident er ab 1982 war, dass Klaus von Beyme in Würdigung seines Lebenswerks der Mattei Dogan Award for High Achievement in Political Science zuerkannt werde. Die Verleihung des mit 5000 US$ dotierten Preises erfolgte auf dem XXII World Congress of Political Science (Madrid, 8.–12. Juli 2012) durch Jean-Pascal Daloz (Mattei Dogan Foundation) im Rahmen einer festlichen Veranstaltung, bei welcher Klaus von Beyme einen Festvortrag hielt.

Nach der Wiedervereinigung identifizierte Klaus von Beyme den Ostberliner Vertreter im Exekutivkomitee der International Political Science Association, Karl-Heinz Röder, als hochrangigen Stasi-Offizier.

Forschungsschwerpunkte

Einen Forschungsschwerpunkt stellte die vergleichende Untersuchung der Regierungssysteme in Europa dar, dabei insbesondere im ehemaligen Ostblock. Zu seinen Fachgebieten wie „Vergleichende Politikwissenschaft“, „Politische Theorie“ oder „Policy-Analyse“ (Kulturpolitik, Kunst und Politik, Wohnungs- und Städtebaupolitik) verzeichnete Beyme zahlreiche Publikationen. Er sah das Hochschulsystem der Vereinigten Staaten als Vorbild. Auch seine Beiträge zur Erforschung der Geschichte der Disziplin Politikwissenschaft sind anerkannt, insbesondere zur Geschichte der vergleichenden Politikwissenschaft und eines ihrer Gründungsväter, Carl Joachim Friedrich.

Das Grab von Klaus von Beyme auf dem Friedhof Neuenheim in Heidelberg

Zu seinen Leidenschaften gehörten die Architektur- und Kunstgeschichte. Seine Werke Das Zeitalter der Avantgarden. Kunst und Gesellschaft 1905–1955 und Die Faszination des Exotischen. Exotismus, Rassismus und Sexismus in der Europäischen Kunst tragen dem Rechnung. Beymes Werk über den Wiederaufbau (1987) verbindet politologische und ästhetische Sichtweisen und relativiert das Klischee der besonderen Affinität von „konservativem“ Architekturgeschmack und faschistischem Denken, indem es an Beispielen wie Rudolf Hillebrecht, Roland Rainer oder Friedrich Tamms die erfolgreichen Nachkriegskarrieren von NS-Architekten beleuchtet.

Er war Kuratoriumsmitglied der Carlo-Schmid-Stiftung.

Bücher

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Klaus von Beyme in Memoriam (1934-2021). In: IPSA. 7. Dezember 2021, abgerufen am 10. Januar 2023 (englisch). 
  2. Andreas Busch: Mann des Vergleichs, faz.net, akt. am 8. Dezember 2021, abgerufen am 9. Dezember 2021.
  3. Deutsches Adelsblatt, 1997.
  4. a b Weltenbummler und Landkind. In: ruprecht. Nr. 61, 5. Juli 1999 (online – Interview). 
  5. Politische Soziologie im zaristischen Russland. Wiesbaden 1965.
  6. Habilitationsschrift: Die parlamentarischen Regierungssysteme in Europa.
  7. Irmela Bauer-Klöden: Die Rektoren, 15.–21. Jahrhundert. Historisch-statistisches Handbuch der Universität Tübingen]. Tübingen 2010, S. 186. ([http://www.ub-archiv.uni-tuebingen.de/w723/rektoren.pdf PDF).
  8. Christian Graf von Krockow, Peter Lösche (Hrsg.): Parteien in der Krise. Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland und der Aufstand des Bürgerwillens. München 1986, S. 165.
  9. a b Wolfgang Merkel: Nachruf: Klaus von Beyme war ein faszinierender Lehrer und Gelehrter. In: Rhein-Neckar-Zeitung. 7. Dezember 2021, abgerufen am 7. Dezember 2021. 
  10. Hans-Dieter Klingemann, Jürgen W. Falter: Die deutsche Politikwissenschaft im Urteil der Fachvertreter. In: Michael Th. Greven (Hrsg.): Demokratie — eine Kultur des Westens? Leske + Budrich, Opladen 1998, S. 305–341 (PDF; 3,9 MB); vgl. auch Michael Schwarz: Heidelberger Politikwissenschaftler genießen hervorragenden Ruf. In: Informationsdienst Wissenschaft. 13. April 1999 (online).
  11. Andreas Busch: Mann des Vergleichs, faz.net, akt. am 8. Dezember 2021, abgerufen am 10. Dezember 2021.
  12. Archivierte Kopie (Memento vom 11. November 2012 im Internet Archive).
  13. Mattei Dogan Foundation.
  14. Klaus von Beyme: Bruchstücke der Erinnerung eines Sozialwissenschaftlers, Wiesbaden 2016, S. 182; vgl. auch: Klaus von Beyme: Die DVPW und die International Political Science Association. In: Jürgen W. Falter, Felix W. Wurm (Hrsg.): Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland. 50 Jahre DVPW, Wiesbaden 2003, S. 70 ff.
  15. Schafft die Habilitation ab. In: Die Zeit. 12. Februar 1998 (online – Gespräch). 
  16. Klaus von Beyme: Die deutsche Politikwissenschaft im internationalen Vergleich. In: ders. (Hrsg.): Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Entwicklungsprobleme einer Disziplin (= Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 17/1986), Opladen 1986, ISBN 3-531-11830-7.
Normdaten (Person): GND: 117757241 | LCCN: n50011150 | VIAF: 4959545 |