Steinkult

Der Baitylos von Viddalba

Steinkulte und Steinverehrung (Litholatrie) sind seit der Antike weit verbreitet. Möglicherweise galten aufgerichtete Steine schon in der Jungsteinzeit als Repräsentanten von Gottheiten und waren somit Kultsteine. In diesem Sinne deuten manche Forscher auch die Obelisken im alten Ägypten und die Baityloi Sardiniens und den irisch-keltischen Turoe-Stein, in Griechenland sind es die Omphaloi. Die Verehrung von Menhiren begleitet den Steinkult bis in historische Zeit.

Der Anfang

Die Verehrung aufgerichteter Steine beginnt im Natufien. Eine kleine Steinsäule in der Nische eines Hauses von Jericho II ist nicht der einzige Hinweis darauf. In Munhata, südlich des Tiberias-Sees, das in den 1960er Jahren von Jean Perrot (1920–2012) erforscht wurde, kamen in den Nordwänden der Häuser, der untersten Horizonte aus dem präkeramischen Neolithikum B, mehrfach gipsverputzte Nischen zutage, in denen ein Stein stand. Zu Munhata gehörte eine Anlage, die sich über mehr als 300 Quadratmeter erstreckte, von einer dicken Lehmziegelnmauer auf Steinfundamenten umgeben war. Ein Podium aus drei großen Basaltplatten mit breiten Abflussrinnen im Zentrum, ein gepflastertes Bassin von 3 × 2 m Größe und mehrere Feuerstellen legen die Vermutung nahe, dass der Komplex aus dem 8. bis 7. Jahrtausend v. Chr. ein Heiligtum war. Im umhegten ovalen Komplex von Rosh Zin, einer anderen Natufiensiedlung, war eine große rohe Steinsäule aufgerichtet worden. In der Füllung um ihre Basis fand man Opfergaben, die wohl anlässlich der Aufstellung der Säule dargebracht wurden.

Altes Testament

Moses erhielt von JHWH den Befehl, die Kultsteine in Kanaan zu zerstören. Im Alten Testament (Tanach) wird der heilige Stein als Mazewa (hebräisch מַצֵּבָה) bezeichnet. Im Gegensatz zur Auffassung der Kanaanäer, die ihn mit der Gottheit identifizierten, wird er von den Israeliten als Zeichen von Gottes Gegenwart oder als Denkmal besonderer Ereignisse, als „Zeugnisstein“ umgedeutet.

Der Gilgal der Bibel, der Kreis aus zwölf Steinen, Symbolen der zwölf Stämme Israels, den Josua angeblich als Erinnerung an die Jordanüberschreitung aufrichten ließ, war vermutlich eine Anlage aus der Epoche der palästinensischen Megalithkultur (Megalithanlagen auf dem Golan). Die Geschichte von der Jakobsleiter erzählt, dass er an einem Stein schlief und erkannte, dass „der Herr an diesem Ort war“. Er stellte den Stein auf, begoss ihn mit Öl und nannte ihn „Bethel“, d. h. (hebräisch בֵּית אֵל ‚Haus des El ‚Haus Gottes‘).

Ungeachtet der Bekämpfung der Steinverehrung durch die Propheten blieben Menhire, Reihen, Kreise und Vierecke aus aufgerichteten länglichen Blöcken in Israel und Jordanien auffallend häufig im Bereich megalithischer Nekropolen erhalten. Zu den eindrucksvollsten Anlagen gehören die Monumente von Ain es Zerka in Jordanien auf einer Felsterrasse mit etwa 50 Großsteingräbern. Auf einer Erhöhung im Zentrum des Plateaus ragen drei Menhire von fast 2,0 m Höhe empor, die von einem kleinen Steinkreis umschlossen sind.

Antike

In der Antike verehrten verschiedene Völker im Mittelmeerraum Steine. Ein Steinkult ist in der kanaanitischen Religion im Rahmen des Ba’al-Kults belegt. Auf Griechisch nannte man diese Steine baitýlia oder baítyloi, lateinisch baetuli; davon ist das deutsche Wort Bätyle abgeleitet (daneben kommen in der deutschsprachigen Literatur auch die Bezeichnungen Bätylien, Bäthylien, Baitylien, Baethylien und Betyle vor). Die griechische Bezeichnung ist abgeleitet von aramäisch bet el („Haus Gottes“, vgl. hebräisch Bet-El).

Das Wort Bätyl ist erstmals im 1. Jahrhundert bei Plinius dem Älteren bezeugt, der in seiner Naturalis historia von schwarzen, runden Steinen berichtet, die als heilig galten und deren (magische) Hilfe man bei der Belagerung von Städten und im Seekrieg in Anspruch nahm; ihr Name sei baetuli. Auch der griechisch schreibende phönizische Gelehrte Herennios Philon (Philon von Byblos) verwendet den Begriff. Er beruft sich auf einen (wahrscheinlich fiktiven) phönizischen Gelehrten namens Sanchuniathon, der vor der Zeit des Trojanischen Krieges gelebt habe. Nach Philons Darstellung gab es „beseelte“ Steine (baitýlia), die Uranos erzeugte und in seinem Kampf gegen seinen Sohn Kronos verwendete. Als Vertreter der Religionsdeutung des Euhemerismus, welche die Götter als von den Menschen vergöttlichte Sterbliche auffasst, meinte Philon, dass Uranos und Kronos ursprünglich Sterbliche waren, die später zu Göttern gemacht wurden. Die beseelten Steine konnten sich offenbar nach der Philon vorliegenden Version des Mythos aus eigener Kraft bewegen und so den Gegner Kronos treffen.

Von der Beliebtheit der Bätyle bei den Phöniziern zeugen zahlreiche Münzen der römischen Kaiserzeit, auf denen sie abgebildet sind. Solche Münzen stammen aus den Städten Sidon, Byblos und Tyros.

Manche Bätyle waren Meteoriten. Sie waren entweder den Göttern geweiht oder wurden selbst als göttlich betrachtet. Die Herkunft der Meteoriten „vom Himmel“ war bekannt. Unter den griechischen Göttern war Apollon am engsten mit dem Steinkult verbunden. Auch der Name des Gottes Hermes (griechisch ἕρμα herma: „Felsen“, „Stein“, „Ballast“) deutet auf einen Zusammenhang mit einem Steinkult.

Bei den Israeliten war der Stein bedeutsam, auf dem Jakob laut Gen 28,11 schlief, als er in einer Traumvision die Jakobsleiter sah. Diesen Stein salbte er am folgenden Morgen und setzte ihn als Gedenkstein. Den Ort nannte er der biblischen Erzählung zufolge Bet-El.

Bezeugt ist Steinkult auch in der minoischen Kultur auf Kreta, wo Kultsteine als Wohnsitze von Gottheiten oder Geistern Verstorbener betrachtet wurden. Auch die Hethiter hatten heilige Steine, die sich in Tempeln oder Heiligtümern befanden und gesalbt wurden. In Zincirli in der Türkei wurde 2008 eine Stele des Kuttamuwa entdeckt, die aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. stammt und deren Inschrift besagt, dass die Seele des auf ihr abgebildeten Kuttamuwas nach seinem Tod in dem Stein wohnte.

Sardinien; Baityloi

Wenige Meter vom Gigantengrab von Tamuli auf Sardinien stehen die etwa 1,5 Meter hohen perdas marmuradas – sechs nuraghische Baityloi (ital. Betili), drei männliche und drei weibliche, die schon im Mittelalter als „sa petra uue sunt sos thithiclos“ (der Stein mit den Brüsten) bezeichnet wurden und auf den sardischen Steinkult verweisen. Die insbesondere als Dreierkombination an vielen Stellen Sardiniens belegten Steine kommen u. a. beim Gigantengrab von Perdu Pes bei Paulilatino vor. Die Gigantengräber der 2. Generation wie Pradu Su Chiai aber auch einige Domus de Janas (wie Molafa) haben ein Zahnfries (ital. fregio a dentelli) mit drei Ausnehmungen, die zur Aufnahme kleiner granatenförmiger Baityloi dienten.

Berühmte Kultsteine

Siehe auch

Literatur

Wiktionary: Litholatrie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Anmerkungen

  1. Detlef W. Müller: Menhire. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Bd. 19, 2001, S. 532 (mit Abbildung einer Ritzzeichnung der „Dolmengöttin“ auf einer jungsteinzeitlichen Menhirstele).
  2. a b Friedrich Münter (1805) Ueber die vom Himmel gefallenen Steine der Alten, Bäthylien genannt; Kopenhagen und Leipzig, Johann Heinrich Schubothe
  3. Plinius, Naturalis historia 37, 51, 135.
  4. Herennios wird zitiert von Eusebius von Caesarea, Praeparatio evangelica 1.10.23; griechischer Text bei Albert I. Baumgarten: The Phoenician History of Philo of Byblos. A Commentary, Leiden 1981, S. 16, englische Übersetzung S. 182, Kommentar S. 202 f.
  5. Albert I. Baumgarten: The Phoenician History of Philo of Byblos. A Commentary, Leiden 1981, S. 202
  6. Martin Persson Nilsson, Geschichte der griechischen Religion, Bd. 1, 3. Auflage, München 1967, S. 201.
  7. Nilsson S. 204.
  8. Marinatos (2009) S. 76–79.
  9. Bericht mit Abbildung (Memento des Originals vom 4. Januar 2010 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.culturekiosque.com.
  10. http://www.neroargento.com/page_galle/pradu_gallery.htm Bild eines Zahnfries
Normdaten (Sachbegriff): LCCN: sh85128330