Gart der Gesundheit

Gart der Gesundheit, Mainz 1485. Titelblatt

Der Gart der Gesundheit (lateinisch hortus sanitatis‚ deutsch „Garten der Gesundheit“, in Bezug auf den mittelalterlichen Kräuter- und Arzneigarten), auch Hortus sanitatis germanice und Hortus sanitatis deutsch genannt, ist eines der ersten gedruckten Kräuterbücher in deutscher Sprache. Es wurde von dem Arzt Johann Wonnecke von Kaub verfasst und 1485 von dem Drucker Peter Schöffer in Mainz verlegt. Der Gart der Gesundheit diente als Vorlage für zahlreiche Nachdrucke bis ins 18. Jahrhundert und zählt zu den wichtigen spätmittelalterlichen Werken zur Kenntnis der Naturkunde, insbesondere der Heilpflanzen. In 435 Kapiteln wurden 382 Pflanzen, 25 Drogen aus dem Tierreich und 28 Mineralien beschrieben und unter der Leitung des Mainzer Malers Erhard Reuwich mit 379 Holzschnitten illustriert.

Zusammen mit dem lateinischen Herbarius moguntinus (Peter Schöffer, 1484) und dem lateinischen Hortus sanitatis (Jacob Meydenbach, Mainz 1491) zählt der Gart der Gesundheit zur „Gruppe der Mainzer Kräuterbuch-Inkunabeln“ und markiert den Beginn einer Vereinheitlichung und Transparenz der Materia medica.

Da im Gart der Gesundheit vor allem Arzneimittel pflanzlicher Herkunft („Kräuter“) und in geringerem Umfang Arzneimittel animalischer und mineralischer Herkunft beschrieben werden, wird das Werk der literarischen Gattung „Kräuterbuch“ zugeordnet.

Entstehung

Die Vorarbeiten dieser Kräuterbuch-Inkunabel gingen offenbar bis in die 1470er Jahre zurück. Der Auftraggeber des Gart war Bernhard von Breidenbach (um 1440–1497), ein Mainzer Domherr. Daneben war der Verleger Peter Schöffer beteiligt, ein ehemaliger Mitarbeiter Gutenbergs. Der Verfasser (Kompilator) des Gart war der Frankfurter Stadtarzt Johann Wonnecke von Kaub (um 1430–1503/1504). Der Zeichner Erhard Reuwich (auch Rewich, Reuwick, Reeuwyck) aus Utrecht hat etwa ein Viertel der 379 Illustrationen angefertigt. Während der Text zum Gart bereits 1483 fertiggestellt war und dem Verleger übergeben wurde, lagen noch nicht allzu viele Zeichnungen Reuwichs vor. Weitere sollten wohl noch hinzugefügt werden, vor allem die Ausbeute einer Pilgerfahrt nach Palästina, die Breidenbach mit Reuwich ab 1483 unternahm. Gerade dabei konnten qualitätvolle Abbildungen von Mittelmeerpflanzen erwartet werden. Zur Frankfurter Frühjahrsmesse 1485 wurde der Gart der Gesundheit dann von Schöffer herausgebracht.

Text

Entgegen der früheren Lehrmeinung (vgl. Keil 1982), Wonnecke habe nur deutsche Quellen für sein Werk herangezogen, geht man heute davon aus, dass sowohl deutsche als auch lateinische Quellen verwendet wurden. Im ausgehenden 15. Jahrhundert gab es in der deutschen Fachliteratur nicht ausreichende Quellen für 435 Drogenmonografien, sondern nur für etwas mehr als 150.

Als gesicherte Quellen können genannt werden: Das Buch der Natur von Konrad von Megenberg (bspw. anhand des Kapitels zum Efeu), außerdem die Physica der Hildegard von Bingen und der Macer floridus von Odo Magdunensis, wobei bei beiden nicht klar ist, ob eine deutsche oder lateinische Fassung vorlag. Diese Quellen werden im Gart allesamt nicht genannt.

Lateinische Quellen waren der Aggregator (Pseudo-Serapion) des Ibn Wafid, aus dem verschiedene Pflanzennamen übernommen wurden, das Circa instans (bzw. die „Secreta salernitana“) aus der Schule von Salerno, dem die Anlage der Kapitel entlehnt ist und von dem vermutlich zwei Fassungen verwendet wurden, die Naturalis historia von Plinius, die Etymologien des Isidor von Sevilla sowie das zweite Buch des Canon medicinae von Avicenna. Diese Quellen werden im Gart teils genannt und lagen allesamt zur Zeit der Drucklegung nicht in einer deutschen Übersetzung vor. Einige der Werke wurden bis heute nicht komplett ins Deutsche übersetzt.

Zumindest indirekt zitiert wurden Pedanios Dioskurides (Materia medica) und Galenos (Simplicium pharmacorum).

Illustrationen

Wohl entgegen der ursprünglichen Planung ging nur ein Viertel der 379 Holzschnitte der Ausgabe von 1485 auf Reuwich zurück. Sie zeigen hauptsächlich Pflanzen, die im Frühling und Frühsommer blühen. Die Qualität dieser Zeichnungen war für die Zeit außerordentlich. Die anderen Illustrationen wurden offenbar in Eile erarbeitet und sind weit weniger naturgetreu. Zum Teil gehen sie auf handschriftliche Vorlagen zurück, etwa bezüglich schematischer Illustrationen auf den auf der Handschrift Ms. Egerton 747 des Circa instans beruhenden Tractatus de herbis (Modena lat. 993).

Die naturgetreuen, meist dem Vorbild der 1475 in Besitz Breidenbachs befindlichen oberrheinischen medizinischen Sammelhandschrift Kodex Berleburg folgenden Illustrationen im Gart der Gesundheit vereinen mittelalterliche Ornamentik mit Naturtreue. Dadurch wurde das Wesen der jeweils dargestellten Pflanze abstrahierend darstellt. Die Abbildungen in den Kräuterbüchern der Väter der Botanik verloren diese abstrahierende Ausdruckskraft durch zunehmende Betonung einer „photographischen Naturtreue“. Arnold Klebs bemerkte dazu (1925, S. IX):

„We who today in our aesthetic demands are drawing away more and more from the slavish copying of nature and demand that a work of art expresses type and character, can better appreciate the didactic value of these simple drawings than the previous generation to whom the photographic appealed as the highest form of truthful representation.“ „Wir, die wir uns heute in unseren ästhetischen Ansprüchen mehr und mehr vom sklavischen Kopieren der Natur entfernen, können den didaktischen Wert dieser einfachen Zeichnungen besser schätzen als die vorhergehende Generation, für welche die Photographie die höchste Form wahrhafter Abbildung darstellte.“

Abbildungen im Gart der Gesundheit. Mainz 1485 (Auswahl)

Wirkung

Titelblätter zu Egenolffs Kreutterbuch. Links: Eucharius Rösslin der Jüngere 1533 Rechts: Balthasar Ehrhart 1783

Entscheidend für die Wirkung des Gart und gegenüber älteren Texten neu war laut Gundolf Keil sein Projektcharakter, bei dem die auf ihrem jeweiligen Feld kompetenten Beteiligten zusammenarbeiteten. Der Gart wurde, trotz zahlreicher Fehler im Urtext (vgl. Mayer 2011), ein großer verlegerischer Erfolg und war auch der Beginn einer sich entwickelnden Vereinheitlichung und Transparenz der Materia medica.

Vom lateinischen Hortus sanitatis (Mainz 1491) lagen ab 1529 die Teile Zwei (de animalibus), Drei (de avibus), Vier (de piscibus) und Fünf (de lapidibus) in deutscher Übersetzung vor. Diese vermengte der Frankfurter Verleger Christian Egenolff im Jahre 1533 mit dem Kräuterteil des deutschen Gart der Gesundheit (Mainz 1485) und mit dem ebenfalls in deutscher Sprache abgefassten Kleinen Destillierbuch (Straßburg 1500) zu einem Kreutterbůch von allem Erdtgewächs, das bis ins 18. Jahrhundert immer wieder neu bearbeitet wurde:

1533–1546 von Eucharius Rösslin dem Jüngeren, 1557–1604 von Adam Lonitzer, 1630–1703 von Peter Uffenbach, 1737–1783 von Balthasar Ehrhart

Ausgaben

Auch durch Johann Grüninger in Straßburg und in niederdeutscher Sprache in Lübeck erfolgten Nachdrucke.

Literatur

Weblinks

Wikisource: Gart der Gesundheit – Quellen und Volltexte Commons: Gart der Gesundheit – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Christina Becela-Deller: Ruta graveolens L. Eine Heilpflanze in kunst- und kulturhistorischer Bedeutung. (Mathematisch-naturwissenschaftliche Dissertation Würzburg 1994) Königshausen & Neumann, Würzburg 1998 (= Würzburger medizinhistorische Forschungen. Band 65), ISBN 3-8260-1667-X, S. 116.
  2. Gundolf Keil: Hortus Sanitatis, Gart der Gesundheit, Gaerde der Sunthede. 1986, S. 68.
  3. Christina Becela-Deller: Ruta graveolens L. Eine Heilpflanze in kunst- und kulturhistorischer Bedeutung. (Mathematisch-naturwissenschaftliche Dissertation Würzburg 1994) Königshausen & Neumann, Würzburg 1998 (= Würzburger medizinhistorische Forschungen. Band 65), ISBN 3-8260-1667-X, S. 116.
  4. Gundolf Keil: Hortus Sanitatis, Gart der Gesundheit, Gaerde der Sunthede. 1986, S. 68.
  5. Pia Rudolph: Im Garten der Gesundheit. Pflanzenbilder zwischen Natur, Kunst und Wissen in gedruckten Kräuterbüchern des 15. Jahrhunderts. Köln 2020.
  6. Gundolf Keil, Peter Dilg: Kräuterbücher. In: Lexikon des Mittelalters. Band 5, Metzler, Stuttgart 1999, Sp. 1476–1480.
  7. Thomas Melan: Die Abgrenzung der Begriffe Kräuterbuch und Herbarium (Memento des Originals vom 29. September 2018 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.kraeuterbuecher.at.
  8. Henrike Fricke: Die Geschichte der Kräuterbuchliteratur unter besonderer Berücksichtigung des „Herbarium Siegesbeckianum“. Grin, 2017, ISBN 978-3-668-49375-9. (Bachelorarbeit 2013).
  9. Julius Schuster: Secreta Salernitana und Gart der Gesundheit. In: Mittelalterliche Handschriften. Festgabe zum 60. Geburtstag von Hermann Degering. Leipzig 1926, S. 203–237, hier: S. 220.
  10. Gundolf Keil: ‚Gart der Gesundheit‘. In: Enzyklopädie Medizingeschichte. 2005, S. 458.
  11. Christina Becela-Deller: Ruta graveolens L. Eine Heilpflanze in kunst- und kulturhistorischer Bedeutung. 1998, S. 173.
  12. Gundolf Keil: ‚Gart der Gesundheit‘. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 457–459
  13. Johannes Gottfried Mayer 2011
  14. Peter Riethe: Hildegards von Bingen >Liber simplicis medicinae< im Mainzer >Gart der Gesundheit<. In: Sudhoffs Archiv. Band 89, Heft 1, 2005, S. 96–119.
  15. Vgl. auch Otto Beßler: Prinzipien der Drogenkunde im Mittelalter. Aussage und Inhalt des Circa instans und Mainzer Gart. Mathematisch-naturwissenschaftliche Dissertation. Halle an der Saale 1960.
  16. Christina Becela-Deller: Ruta graveolens L. Eine Heilpflanze in kunst- und kulturhistorischer Bedeutung. 1998, S. 241.
  17. Allerdings sind nur fünf direkt dem Kodex Berleburg entnommen, während 94 nach dem Vorbild von Circa-instans-Illustrationen angefertigt worden sind.
  18. Wolf-Dieter Müller-Jahncke, Werner Dressendörfer, Gundolf Keil: Älterer deutscher „Macer“ – Ortolf von Baierland: „Arzneibuch“ – „Herbar“ des Bernhard von Breidenbach – Färber- und Malerrezepte: Die oberrheinische medizinische Sammelhandschrift des Kodex Berleburg. Farbmikrofiche-Edition mit Einführung zu den Texten, Beschreibung der Pflanzenabbildungen und der Handschrift. München 1991 (= Codices illuminati medii aevi. Band 13).
  19. Werner Dressendörfer, Gundolf Keil, Wolf-Dieter Müller-Jahncke (Hrsg.): Älterer deutscher 'Macer' - Ortolf von Baierland 'Arzneibuch' - 'Herbar' des Bernhard von Breidenbach - Färber- und Maler-Rezepte: Die oberrheinische medizinische Sammelhandschrift des Kodex Berleburg (Berleburg, Fürstlich Sayn-Wittgenstein'sche Bibliothek, Cod. RT 2/6). Einführung zu den Texten, Beschreibung der Pflanzenabbildungen und der Handschrift. Farbmikrofiche-Edition, München 1991 (= Codices illuminati medii aevi. Band 13), S. 75–98, hier: S. 80 f.
  20. Gundolf Keil: ‘Gart’, ‘Herbarius’, ‘Hortus’. Anmerkungen zu den ältesten Kräuterbuch-Inkunabeln. 1982, S. 596 f.
  21. Gundolf Keil, Christine Wolf: Das führende Kräuterbuch als transporter: Altdeutsche Fachprosa in Johann WONNECKES ‘Gart’. In: Ingrid Kästner u. a. (Hrsg.): Erkunden, Sammeln, Notieren und Vermitteln – Wissenschaft im Gepäck von Handelsleuten, Diplomaten und Missionaren. (= Europäische Wissenschaftsbeziehungen. Band 7). Aachen 2014, S. 37–74.
  22. Rudolf Schmitz: Der Arzneimittelbegriff der Renaissance. In: Rudolf Schmitz, Gundolf Keil: Humanismus und Medizin. Acta humaniora, Weinheim 1984 (= Deutsche Forschungsgemeinschaft: Mitteilungen der Kommission für Humanismusforschung. Band 11), ISBN 3-527-17011-1, S. 1–21, hier: S. 18 f.
  23. Ortus Sanitatis, Hans Grüninger, Straßburg 1529 (Digitalisat) --- Gart der gesuntheit ... zu latin …, Balthasar Beck, Straßburg 1529 (Digitalisat)
  24. Eucharius Rösslin der Jüngere. Kreutterbůch von allem Erdtgewächs. Christian Egenolph, Frankfurt am Main 1533 (Digitalisat); 1542 (Digitalisat); 1546 (Digitalisat)
  25. Adam Lonitzer: Kreuterbuch : kunstliche Conterfeytunge der Bäume, Stauden, Hecken, Kreuter, Getreyde, Gewürtze, mit eigentlicher Beschreibung derselben Namen, in sechserley Spraachen, nemlich, griechisch, latinisch, italianisch, frantzösisch, teutsch und hispanisch, vnd derselben Gestalt, natürlicher Krafft vnd Wirckung ; sampt künstlichem vnd artlichem Bericht deß Destillierens ; item von fürnembsten Gethieren der Erden, Vögeln, vnd Fischen ; deßgleichen von Metallen, Ertze, Edelgesteinen, Gummi, vnd gestandenen Säfften. Christian Egenolffs Erben, Frankfurt 1557; 1560 (Digitalisat); 1564 (Digitalisat); 1573 (Digitalisat); 1578 (Digitalisat); 1582 (Digitalisat); 1593 (Digitalisat); Kreuterbuch 1598 (Digitalisat); 1604 (Digitalisat)
  26. Bearbeitung durch Peter Uffenbach 1630 (Digitalisat); 1678 (Digitalisat); 1703 (Digitalisat)
  27. Bearbeitung durch Balthasar Erhrhart 1737 (Digitalisat); 1783 (Digitalisat)
  28. Ortus sanitatis uff teutsch ein gart der gesuntheit. Peter Schöffer, Mainz 1485; Neudruck München 1966.
  29. Arnold C. Klebs. Incunabula scientifica et medica. The Saint Catherine Press Ltd., 1938, S. 171f. (Digitalisat)