Norbert Conrad Kaser

Norbert C. Kaser, fotografiert von Klaus Gasperi

Norbert Conrad Kaser, in Selbstdarstellungen auch norbert c. kaser, N. C. Kaser, (* 19. April 1947 in Brixen, Südtirol; † 21. August 1978 in Bruneck) war ein Dichter und Schriftsteller aus Südtirol. Seine literarischen Werke und Streitschriften trugen in den späten 1960er-Jahren wesentlich zur Begründung der Neuen Südtiroler Literatur bei. Große Teile von Kasers Werk wurden erst nach seinem Tod veröffentlicht. Posthum fanden Biographie und Werk über den regionalen Wirkungskreis hinaus Verbreitung.

Leben

Norbert C. Kaser wurde am 19. April 1947 als uneheliches Kind von Paula Thum in Brixen geboren. Er wuchs in Bruneck auf, da sein Stiefvater Franz Kaser als Pförtner in der Tuchfabrik Moessmer arbeitete. Nach dem Abschluss der Pflichtschule besuchte er das Humanistische Gymnasium in Bruneck, scheiterte jedoch im Jahr 1966 an der Maturaprüfung. Daraufhin verließ er das Pustertal und zog nach Laas im Vinschgau, wo er als Lehrer arbeitete. In dieser Zeit entstanden auch seine ersten Gedichte. Nachdem dem Eintritt in den Konvent der Kapuziner in Bruneck 1968 und dem Austritt 1969 bestand er im dritten Anlauf die Maturaprüfung.

Im selben Jahr erregte er auf einer von Gerhard Mumelter veranstalteten Studientagung der Südtiroler Hochschülerschaft in Brixen großes Aufsehen, als er mit der Südtiroler Vorkriegsliteratur hart ins Gericht ging („99 % unserer Südtiroler Literaten wären am besten nie geboren, meinetwegen können sie noch heute ins heimatliche Gras beißen, um nicht weiteres Unheil anzurichten.“) und dazu aufruft, das Wappenzeichen der Südtiroler, den Tiroler Adler, „wie einen Gigger zu rupfen“. Ein Sturm der Entrüstung in allen Medien war die Folge.

Im Herbst des Jahres 1969 inskribierte er sich für das Studium der Kunstgeschichte an der Universität Wien. Im folgenden Jahr reiste er für zwei Monate nach Norwegen, wo er sich als Gemeindearbeiter durchschlug. Daraufhin brach er sein Studium in Wien ab und kehrte im März 1971 in seine Heimat zurück. Dort übernahm er Vertretungsstellen in verschiedenen Schulen des Bozner und Meraner Raumes (Vernuer bei Riffian, Flaas bei Jenesien). Außerdem verfasste er zeitkritische Kolumnen in lokalen Südtiroler Tageszeitungen. In den beiden darauffolgenden Jahren reiste er viel umher, so unter anderem nach Barcelona und Venedig.

Norbert C. Kaser war besonders in den letzten Jahren seines Lebens schwer alkoholsüchtig. Aus diesem Grund hielt er sich mehrmals in Krankenhäusern und Nervenheilanstalten auf. Zwei Jahre vor seinem Tod wurde er Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens und trat aus der katholischen Kirche aus. Kaser unternahm noch mehrere Reisen und unterzog sich einer Kur in Bad Berka in der DDR. Am 21. August 1978 starb er im Krankenhaus von Bruneck an den Folgen einer Leberzirrhose. Sein letztes Gedicht ich krieg ein kind beschreibt den Verfall seines Körpers kurz vor dem Tod. Kasers Begräbnis am Friedhof von Bruneck wurde zu einem denkwürdigen Ereignis, da an ihm Menschen aus dem links-oppositionellen und dem katholisch-konservativen Milieu Südtirols teilnahmen.

Rezeption

Anstoß im politischen Leben Südtirols

Wenige Wochen nach Kasers Tod lancierte Alexander Langer in der Südtiroler Volkszeitung unter Bezugnahme auf das Ableben des Dissidenten („Das Schicksal Norbert C. Kasers ist für viele in Südtirol sinnbildhaft.“) einen Aufruf zur Formierung einer parteiunabhängigen Oppositionsliste, die im November desselben Jahres unter der Bezeichnung Neue Linke/Nuova Sinistra den Einzug in den Südtiroler Landtag schaffte. 1980 bemerkte Langer hierzu in einem Zeitungsartikel:

„Fu al funerale di Norbert che decisi di tornare nel Sudtirolo, che non si volevano altri morti, che bisognava fare qualcosa. “

Alexander Langer: Südtiroler Regional- und späterer Europapolitiker (Grüne) 1980 in der Zeitschrift Lotta Continua.

Nachwirkung im deutschsprachigen Literaturbetrieb

Das literarische Werk Kasers wurde zum überwiegenden Teil erst im Verlauf der 1980er- und 90er-Jahre postum in diversen österreichischen Verlagen veröffentlicht, wodurch es über Südtirol hinaus im gesamten deutschsprachigen Raum Verbreitung fand. Die ersten Publikationen besorgte der österreichische Kulturjournalist Hans Haider mit Unterstützung des Tiroler Zeichners und Kulturmäzens Paul Flora, der Kaser bereits zu dessen Lebzeiten unterstützt hatte. Im österreichischen und bundesdeutschen Feuilleton wurde Kasers Werk daraufhin erstmals zur Kenntnis genommen und erhielt außerordentlich positive Kritiken:

„Für mich stellt der erste Nachlaßband des Südtiroler Autors Norbert C. Kaser (...) die wichtigste Neuerscheinung eines österreichischen Verlags auf dem Gebiet der Belletristik dar.“

Erich Hackl im Wiener Tagebuch Nr. 2/1980.

„Norbert C. Kaser hat noch postum die poetische Kraft, zu einem Stern erster Ordnung zu werden.“

Rolf Schneider im Wochenmagazin DIE ZEIT, 4. Januar 1980.

Von 1988 bis 1991 erschien im Innsbrucker Haymon Verlag unter Mitwirkung Hans Haiders eine vom Forschungsinstitut Brenner-Archiv der Universität Innsbruck verantwortete Gesamtausgabe der Werke Kasers in drei Bänden (siehe Literaturliste). Die einzelnen Bände wurden von den Literaturwissenschaftlern Sigurd Paul Scheichl (Band 1: Lyrik), Erika Wimmer (Band 2: Prosa) und Benedikt Sauer (Band 2: Prosa und Band 3: Briefe) erarbeitet und herausgegeben. Haider wurde für seinen Einsatz um Veröffentlichung und Verbreitung des Werks Kasers 1991 mit dem Österreichischen Staatspreis für Literaturkritik ausgezeichnet.

Ein Großteil der postum veröffentlichten Texte Kasers basiert auf der umfassenden Sammlung von Kasers Jugendfreund Klaus Gasperi, dem Kaser zu Lebzeiten laufend Abschriften anvertraut hatte. Gasperis Sammlung bildet den Kern des Kaser-Nachlasses, der vom Forschungsinstitut Brenner-Archiv der Universität Innsbruck im Zuge der Editionsarbeiten zum Werk Kasers verwaltet wurde, bis ihn die Stiftung Südtiroler Sparkasse im Jahr 2007 kaufte und der Gemeinde Bruneck als Dauerleihgabe zur Verfügung stellte.

Parallel zum Erscheinen der ersten Kaser-Texte aus dem Nachlass begann die künstlerische und wissenschaftliche Beschäftigung mit Kasers Biographie. Der Brunecker Jugendfreund Kasers Ivo Barnabò Micheli realisierte 1984 hierzu den ersten Film über das Schicksal des Schriftstellers unter dem Titel Eingeklemmt. Notizen für einen Film über Norbert C. Kaser. 1997 veröffentlichte Benedikt Sauer eine umfassende Biographie Kasers, die als Standardwerk gilt (siehe Literatur).

Die umfassende Rezeption Kasers beförderte 1988 (anlässlich des 10. Todestages) die Stiftung des N. C. Kaser-Lyrikpreises, der vom Verein Bücherwürmer (in Lana, Südtirol) zusammen mit den beiden Künstlern Paul Flora und Markus Vallazza ins Leben gerufen wurde. Er ist mit rund 10.000 Euro dotiert und wird seither in der Regel alle zwei Jahre vergeben. Seite den 1980er-Jahren wurden Texte Kasers auch ins Italienische und Tschechische übersetzt (siehe Übersetzungen).

Noch 2021, mehr als vierzig Jahre nach Kasers Tod, löste ein Textdialog auf salto.bz zwischen den Autorinnen Maxi Obexer und Sabine Gruber Reaktionen zur literarischen Bedeutung des Autors aus. Konkret nahmen mehrere Presse- und Onlinebeiträge an Obexers Äußerung Anstoß, sie finde „den Hype auf N. C. Kaser, der ein paar Gedichte verfasst hat und sich dann im Suff ertränkt hat, reichlich überzogen. Literarisch hat er für mich keine Rolle gespielt und ich frage mich, für wen er das hat“. Auf mehrfach geäußerte Vorwürfe literarischer Unkenntnis und Fehldeutung reagierte Obexer dahingehend, dass ihre Kritik nicht Kaser, sondern dem allgemeinen Desinteresse an anderen Literatinnen und Literaten aus Südtirol gegolten habe.

Nachwirkung in der Heimatstadt Bruneck

Mit der postumen Veröffentlichung der Werke und der daraus folgenden überregionalen Wertschätzung für Kaser im deutschsprachigen Literaturbetrieb war der verstorbene Dichter auch in seiner Heimatstadt Bruneck – wo ihn die meinungsbildenden Bürger zu Lebzeiten stark angefeindet und ausgegrenzt hatten – zum bedeutenden „Kind der Stadt“ geworden. Hierzu erklärte Kasers langjähriger Freund und Weggefährte Klaus Gasperi 2015 in einem Radiointerview:

„Wir waren sehr schlecht angesehen, auch Kaser, der heute natürlich hochgehimmelt wird und wo heute jeder Brunecker sein Freund ist, posthum. Er ist sehr schlecht behandelt worden, ist von Gasthäusern rausgeschmissen worden.“

Klaus Gasperi: Jugendfreund Kasers in einem Radiointerview für den SWR 2015.

Konkret setzte die Brunecker Stadtverwaltung Jahre nach Kasers Tod folgende Gedenkinitiativen:

Statue Norbert C. Kaser, von Josef Rainer vor der Stadtbibliothek Bruneck, aus dem Jahr 2017 Kritik

An den offiziellen Gedenkinitiativen der Brunecker Stadtverwaltung wurde mehrfach Kritik geäußert:

Zum Phänomen der postumen Würdigung des zu Lebzeiten ausgegrenzten Schriftstellers Kaser bemerkte der Südtiroler Literaturwissenschaftler Peter Giacomuzzi: „Daß nach seinem Tod selbst die ihm so verhassten Spießbürger in seiner Heimat ihre Bewunderung für den neuen, posthum entdeckten Heimatdichter problemlos zum Ausdruck bringen konnten, mag damit zu tun haben, daß kasers Leben dem nostalgischen Klischee eines armseligen, aber gerade deshalb reichhaltigen Künstlerlebens völlig zu entsprechen scheint.“

Literarischer Stil

Kasers Werk zeichnet sich durch eine originelle Sprache, durch konsequente Kleinschreibung und eine seziererisch genaue Beobachtungsgabe aus. „Einflüsse anderer Autoren“, so Kaser in einem Interview mit Ivo Barnabò Micheli im Januar 1976, habe er „bisher an sich keinerlei feststellen können“. Er schätze aber „solche, die ihm etwas mitteilen können, wie Musil, Kafka, Camus und Bataille. Die vier erwähnten Schriftsteller sind Prosaautoren.

Werke

Selbstgefertigte Gedichthefte:

Zeitschriften, in denen Kaser ab 1967 veröffentlichte:

Anthologien, in denen Kaser zu Lebzeiten Texte veröffentlichte:

Postum veröffentlicht:

Postum erschienene Übersetzungen:

Auszeichnungen

Zu Lebzeiten Postume Würdigungen

Literatur (Auswahl, chronologisch)

Filme

Radiofeatures (Podcast)

Vertonungen

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vgl. Anmerkung (6) in Peter Giacomuzzi: verrueckt will ich werden sein & bleiben. Der Süd(tiroler) Autor norbert c. kaser (1947-1978). 1991, abgerufen am 3. November 2021. 
  2. Alexander Langer: Funerale laico con Tedeum. In: Lotta Continua, August 1980, abgerufen am 27. Januar 2018.
  3. Erich Hackl: Jaeh gelebt & jaeh gestorben, in: Wiener Tagebuch, Nr. 2/1980, S. 26–27.
  4. Rolf Schneider: Zu allem Lust und auch zu nichts, in: DIE ZEIT, 4. Januar 1980
  5. salto-Gespräch vom 21.2.2021, im Volltext nachzulesen auf der Webseite von Maxi Obexer unter Sabine Gruber und Maxi Obexer im Gespräch
  6. z. B. Elmar Locher: n. c. kaser? Ja, und nochmal ja! Die neue Südtiroler Tageszeitung, 2. April 2021, abgerufen am 9. Oktober 2021. 
  7. Maxi Obexer: Als ginge es um Kaser. barfuss.it, 12. April 2021, abgerufen am 23. Mai 2023. 
  8. „Alles, nur nicht bei euch“. Der Südtiroler Autor Norbert C. Kaser, Min. 24.09–24.36.
  9. Website der Stadtbibliothek Bruneck (Memento des Originals vom 1. Februar 2018 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.bibliotecacivica-brunico.it
  10. Schiefe Kritik in wechselhaftem Licht. In: Pustertaler Zeitung. 14. Januar 2005, S. 40–41. 
  11. Das Werden einer mittelalterlichen Stadt. In: Pustertaler Zeitung. 19. Mai 2006, S. 10. 
  12. Stadtbibliothek Bruneck (Hrsg.): Endet denn der Winter nie? Norbert C. Kaser zum 70. Geburtstag. Wortstiche Südtiroler Autorinnen und Autoren. Edition Raetia, Bozen 2017.
  13. Stiftung Südtiroler Sparkasse (Hrsg.): Almanach 2022. Athesia, Bozen 2023, S. 17.
  14. Kasers Bruneck: Ein literarischer Streifzug durch die Heimatstadt eines Ausnahmedichters. in: http://magazin.haymonverlag.at/ (März 2017).
  15. Joachim Gatterer: Nachwort. In: ders. (Hrsg.): Norbert C. Kaser: Mein haßgeliebtes Bruneck. Ein Stadtporträt in Texten und Bildern. Haymon, Innsbruck / Wien 2017, S. 207.
  16. Der Revolutionär im Provinznest. Erich Hackl über einen neuen Auswahlband des Südtiroler Schriftstellers Norbert C. Kaser. In: Konkret. 5/2017, S. 52.
  17. Hans Augustin: Stadtbibliothek Bruneck (Hrsg.): Endet denn der Winter nie? Norbert C. Kaser zum 70. Geburtstag. Wortstiche Südtiroler Autorinnen und Autoren. In: LiLit. Literatur im Lichthof. 11/2017.
  18. Siehe in diesem Wikipedia-Artikel Literatur: Peter Giacomuzzi, 1991.
  19. Interview mit Ivo B. Micheli (4. Januar 1976), in: norbert c. kaser: Prosa. Hg. v. Benedikt Sauer und Erika Wimmer-Webhofer. Haymon Verlag, Innsbruck, 1989 (= Gesammelte Werke 2), S. 336.
  20. http://www.drehpunktkultur.at/index.php/rest-der-welt/oesterreich/10448-ideen-wie-musik-aussehen-kann
  21. Siehe Forschungsinstitut Brenner-Archiv, Nachlass Othmar Costa, Sammlungen (Vorlass), Notenmaterial von Bert Breit.
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