Saadia Gaon

Saadia ben Joseph Gaon (geboren 882 im oberen Ägypten; gestorben 942 in Sura / Babylonien), arabisch Saʿīd bin Yūsuf al-Fayyūmī, war ein prominenter Gaon, Rabbiner, jüdischer Philosoph und Exeget.

Der Name „Saʿadia“ ist offensichtlich das hebräische Äquivalent seines arabischen Namens „Saʿīd“. In einem Akrostichon zur hebräischen Einleitung seines ersten Werkes, dem ’Egron, nannte er sich selbst „Saʿid ben Josef“, aber später schrieb er seinen Namen „Saʿadia“.

Leben

Im Sefer ha-Galui betont Saʿadia seine jüdische Herkunft, er behauptet, zur adeligen Familie des Schela, Sohn des Juda (s. 1 Chr 4,21 ), zu gehören und zählte zu seinen Vorfahren Chanina ben Dosa, den berühmten Asketen des ersten Jahrhunderts. Dies brachte Saʿadia auch dadurch zum Ausdruck, dass er seinen Sohn Dosa nannte. Von diesem ist weiter nichts bekannt. Über Josef, Saʿadias Vater, ist eine Aussage des Aaron Ben Meïr überliefert, wonach er gezwungen war, Ägypten zu verlassen, und in Jaffa starb, wahrscheinlich während Saʿadias langem Aufenthalt im Heiligen Land. Der verbreitete Beiname „al-Fayyūmī“, dem im Hebräischen der geographische Name „Pitomi“ entspricht, bezieht sich auf Saʿadias Geburtsort Fayyūm in Oberägypten.

Von Saʿadias Jugend und Erziehung ist wenig bekannt. Mit 20 Jahren beendete er sein erstes größeres Werk, das hebräische Wörterbuch, das er Agron nannte. Mit 23 verfasste er eine Polemik gegen die Karaiten, die Anhänger des Anan ben David, und begann damit seine Auseinandersetzung mit den häretischen Splittergruppen, die er von der Position des traditionellen Judentums aus kritisierte. Im selben Jahr verließ Saʿadia Ägypten und ließ sich dauerhaft in Palästina nieder. In Aleppo erfuhr er von Ben Meïrs Reform des jüdischen Kalenders, welche die Einheit des Judentums bedrohte. Saʿadia richtete eine Warnung gegen ihn, und in Babylon stellte er sein Wissen und seine Feder in den Dienst des Exilarchen David ben Sakkai und der Gelehrten der Akademie, indem er seine eigenen Briefe denen hinzufügte, die sie an die Gemeinden der Diaspora sandten (922). In Babylonien schrieb er sein „Sefer ha-Mo’adim“ oder „Buch der Feste“, in dem er die Behauptungen Ben Meïrs über den Kalender zurückwies und so dazu beitrug, vom Judentum die Gefahr eines Schismas abzuwenden.

Seine Auseinandersetzung mit Ben Meïr war ein wichtiger Faktor bei dem Ruf nach Sura, den er 928 erhielt. Er wurde durch den Exilarchen David ben Sakkai zum Gaon (rabbinischer Führer) ernannt; und für die alte Akademie, gegründet von Rav, begann eine neue Periode der Genialität. Viele wollten keinen Ausländer an der Spitze der Akademie sehen, und sogar der mächtige Exilarch selbst, den der alte Nissim Naharwani vergeblich von der Ernennung abbringen wollte, fand nach zwei Jahren, dass Saʿadias Persönlichkeit sich stark unterschied von den unterwürfigen Geonim, denen er nachgefolgt war und die sich dem Exilarchen stets untergeordnet hatten.

In einer Erbstreitigkeit weigerte sich Saʿadia, ein Urteil des Exilarchen zu unterzeichnen, das er für ungerecht hielt, obwohl der Gaon von Pumbedita es unterschrieben hatte. Als der Sohn des Exilarchen Saʿadia deshalb mit Gewalt drohte und daraufhin von dessen Diener grob behandelt wurde, brach offener Krieg zwischen dem Exilarchen und dem Gaon aus. Beide exkommunizierten sich gegenseitig und erklärten ihren Gegner jeweils für abgesetzt; David ben Zakkai ernannte Josef ben Jakob zum Gaon von Sura, während Saʿadia das Exilarchat auf Davids Bruder Hasan (Josiah; 930) übertrug. Hasan wurde zur Flucht gezwungen und starb im Exil in Chorasan; aber der Streit, der das babylonische Judentum teilte, dauerte an. Saʿadia wurde vom Exilarchen und seinem engsten Anhänger, dem jungen, aber gelehrten Aaron ibn Sargado, in hebräischen Pamphleten bekämpft, deren Fragmente einen Hass aufseiten des Exilarchen und seiner Gefolgsleute zeigen, der auch vor Schmähungen nicht zurückschreckte. Saʿadia zögerte nicht, entsprechend zu antworten.

Der Sefer ha-Galui

Saʿadia schrieb sowohl auf Hebräisch als auch auf Arabisch ein Werk, das heute nur durch wenige Fragmente bekannt ist, mit dem Titel Sefer ha-Galui (hebr., nach einer verbreiteten Hypothese als „Das offene Buch“ auffassbar, arabischer Titel Kitab al-Ṭarid, auffassbar u. a. als „Das Buch, das widerlegt“), in dem er stolz seine Verdienste v. a. im Kampf gegen Häresie schildert.

Die sieben Jahre, die Saʿadia in Bagdad, fern vom Gaonat, verbrachte, unterbrachen nicht seine literarische Aktivität. Sein philosophisches Hauptwerk wurde 933 vollendet. Vier Jahre später wurden die beiden Feinde durch Ibn Sargados Schwiegervater Bischr ben Aaron wieder versöhnt; Saʿadia wurde wieder in sein Amt eingesetzt, übte es aber nur noch fünf Jahre lang aus. David ben Zakkai starb vor ihm (ca. 940), wenige Monate später gefolgt von seinem Sohn Juda, während Davids junger Enkel von Saʿadia väterlich betreut wurde. Gemäß einer Äußerung von Abraham ibn Daud, die zweifellos auf Saʿadias Sohn Dosa zurückzuführen ist, starb Saʿadia 942 im Alter von 60 Jahren an „Schwarzer Galle“ (Melancholie), nachdem wiederholt Erkrankungen seine Gesundheit unterminiert hatten.

Werke

Tafsīr

Unter dem Titel Tafsīr (Exegese) verfasste Saʿadia Gaon die einflussreichste arabische Bibelübersetzung, die einen Großteil des Tanach umfasste. Der Tafsīr verbreitete sich kurz nach seiner Veröffentlichung unter Juden, Samaritanern und Christen und wurde von seinem Verfasser in Auseinandersetzungen mit den Karäern herangezogen. Karäer und rabbinisches Judentum waren auch Anlass für Saʿadia Gaon, ähnlich wie für Abraham ibn Daud, die Chasaren positiv zu erwähnen, da diese nicht den Karäern, sondern dem rabbinischen Judentum folgten.

Der Tafsīr von Saʿadia Gaon ist in Judäo-Arabisch geschrieben in hebräischen Buchstaben. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde seine Übersetzung von Samaritanern und Christen adaptiert und in arabischen Buchstaben überliefert.

Hebräische Linguistik

Halachische Schriften

Der Siddur

Saʿadias Siddur war der erste bekannte Versuch, das wöchentliche Ritual der jüdischen Gebete für Wochentage, Sabbate und Feste zu transkribieren.

Von der synagogalen Dichtung sind die Asharot („Warnungen“) über die 613 Gebote am bemerkenswertesten, bei denen der Name des Verfassers als „Sa’id b. Josef“ angegeben ist, gefolgt von dem Ausdruck „Alluf“, demnach wurden die Gedichte geschrieben, bevor er Gaon wurde.

Religionsphilosophie

Polemische Schriften

Bedeutung

Saʿadia Gaon war ein Pionier in den von ihm bearbeiteten Gebieten. Schwerpunkt seiner Arbeit war die Bibel; und seine Bedeutung beruht in erster Linie auf der Begründung einer neuen Schule biblischer Exegese, charakterisiert durch rationale Untersuchung der Inhalte und wissenschaftliches Studium der Sprache der heiligen Texte.

Saʿadias arabische Übersetzung der Bibel war von Bedeutung für die Zivilisationsgeschichte. Selbst ein Ergebnis der Arabisierung großer Teile des Judentums, war diese Übersetzung jahrhundertelang ein wichtiger Faktor bei der Durchdringung des jüdischen Geistes mit der arabischen Kultur, so dass sie in dieser Hinsicht ihren Platz neben der griechischen Septuaginta in der Antike und der deutschen Übersetzung des Pentateuch durch Moses Mendelssohn hat. Als Instrument der populären Religions-Vermittlung präsentierte Saʿadias Übersetzung auch den Ungebildeten die Schriften in einer rationalen Form, die nach einer größtmöglichen Klarheit und Folgerichtigkeit strebte.

Sein System der Hermeneutik beschränkte sich nicht auf die Exegese einzelner Passagen, sondern behandelte jedes Buch der Bibel als ein Ganzes und zeigte die inneren Bezüge der einzelnen Teile untereinander.

Saʿadias Kommentar enthielt, wie er in der Einleitung zu seiner Pentateuch-Übersetzung selbst schreibt, nicht nur eine genaue Interpretation des Textes, sondern auch eine Widerlegung der Einwände, die von Häretikern dagegen erhoben worden waren. Außerdem werden die Grundlagen der Gebote der Vernunft erläutert und die Gebote der Offenbarung charakterisiert; bei den ersteren beruft sich der Autor auf philosophische Überlegung, bei letzteren auf die Tradition.

Die Position, die Saʿadia in der ältesten Liste hebräischer Grammatiker zugeschrieben wird (enthalten in der Einleitung zu Ibn Ezras Moznayim), ist auch durch die jüngsten historischen Untersuchungen nicht angefochten worden. Auch hier war er der erste; sein heute verlorenes grammatikalisches Werk gab den Anstoß zu weiteren Studien, die ihre brillantesten und bedeutendsten Resultate in Spanien erreichten. Saʿadia entwickelte zum Teil die Kategorien und Regeln der hebräischen Grammatik. Sein Wörterbuch, auch wenn es noch einfach und auf praktische Zwecke ausgerichtet war, wurde der Grundstein der hebräischen Lexikographie; und der Name Agron („Zusammenstellung“), den er dafür wählte, wurde lange als Begriff für hebräische Wörterbücher verwendet, besonders bei den Karäern. Auch die von den Arabern übernommenen Kategorien der Rhetorik wurden erstmals von Saʿadia auf den Stil der Bibel angewendet. Er war außerdem ein Begründer der komparativen Philologie, nicht nur durch sein kurzes Buch der siebzig Wörter (s. o.), sondern vor allem durch seine Erklärung des hebräischen Wortschatzes durch das Arabische, besonders im Falle der bevorzugten Übersetzung biblischer Wörter durch arabische Begriffe mit demselben Klang.

Religionsphilosophie

Mit seinem Buch Emunoth ve-Deoth (Glauben und Wissen) wurde Saʿadia zum Begründer der jüdischen Religionsphilosophie. Im Gegensatz zu Scherira Gaon, der die unverfälschte Überlieferung, die Authentizität bzw. die Kontinuität und sukzessive, ungebrochene Abfolge von der Thora bzw. der Mischna mit der Genealogie belegte und deklinierte, belegte Saʿadia Gaon die unverfälschte Überlieferung der Tora bzw. der Mischna mit der Logik. Mit dem altjüdischen Gebot des Tuns wurden von ihm der Glaube und das Wissen auf eine Stufe gestellt, es begann die Dogmatisierung des Judentums. Zentrale Aussage seiner Gotteslehre war, dass Gott weder Körper noch Person ist.

Mystik

In seinem Kommentar zum Sefer Jezira will Saʿadia den Inhalt dieses mystischen Buches durch Philosophie und andere Erkenntnis verständlich machen, besonders durch ein System hebräischer Phonologie, das er selbst entwickelt hat. In diesem Kommentar nahm er Abstand von den theologischen Überlegungen des Kalam, die in seinen Hauptwerken so große Bedeutung haben; und in seiner Darstellung der Schöpfungstheorie machte er einen Unterschied zwischen der Bibel und dem Buch, das er kommentierte; er überging sogar die Schöpfungslehre des Sefer Jezirah, als er dieses Thema im ersten Abschnitt des Emunoth ve-Deoth behandelte. Daraus ist zu schließen, dass er den Sefer Jezirah – dessen Wurzeln er auf den Patriarchen Abraham zurückführte – nicht als echte Quelle der Erkenntnis betrachtete, obwohl er meinte, das Buch sei eines intensiven Studiums würdig.

Literatur

Primärtexte

Sekundärtexte

Einzelnachweise

  1. Zu den Übersetzungsproblemen vgl. überblicksweise bereits Henry Malter: Saadia Gaon: His Life and Works, Philadelphia 1921, 387–390.
  2. Zum Sprachcharakter vgl. Jonathan Kearney: The Torah of Israel in the Tongue of Ishmael: Saadia Gaon and his Arabic Translation of the Pentateuch, in: Proceedings of the Irish Biblical Association 33–34 (2010–2011), S. 55–75, 66ff.
  3. Vgl. dazu Ronny Vollandt: The Transmission of the Judaeo-Arabic Pentateuch Translation of Rav Saadiah Gaon in Arabic letters: A Case of Textual Diffusion, MA Thesis, Jerusalem 2007.
  4. In der älteren Literatur (z. B. bei Malter 1921, 50, 138ff u. ö.) der Titel als „ʾAgrōn“ vgl. allerdings die Einleitung von Nehemya Allony: Ha-’Egron, Kitāb uṣūl al-ši‘r al-‘ibrānī, Jerusalem 1969, 16; Friedmann Eissler: Königspsalmen und karäische Messiaserwartung, Mohr/Siebeck, Tübingen 2002, 16.
  5. Karl Erich Grözinger: Jüdisches Denken. Theologie, Philosophie, Mystik. Bd. I, Vom Gott Abrahams zum Gott des Aristoteles, Frankfurt a. M. 2004, S. 362–400

Weblinks

Siehe auch

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